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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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sein, so wie Kauket.
    »Stell dir vor, Ata würde einem anderen Wanifen in die Hände fallen, einem der keine Skrupel kennt. Die Folgen wären unaussprechlich. Nein, Ainwa, wann immer du in Gefahr bist, wann immer dich jemand angreift, du darfst nicht zögern. Gnade ist ein Luxus, den du dir nicht leisten darfst, hörst du?«
    Ich hörte, aber Kaukets Worte trugen mich fort in eine lange vergangene Zeit, als ich ähnliche Worte schon mal gehört hatte.
     
    Ainwa hatte Gorman nicht wieder getroffen, seit sie sich an jenem Morgen im Winterwald verabschiedet hatten. Sie waren nicht fähig gewesen, mehr als flüchtige Blicke auszutauschen. Weyref wich Gorman noch immer nicht von der Seite und machte ein Treffen unmöglich.
    Ainwa beobachtete die Jäger jedes Mal sehnsüchtig, wenn sie mit ihren Schneeschuhen in den Wald stapften und der Hauch ihres Atems in der schwachen Dezembersonne leuchtete. Andra sah manchmal zu ihr herüber. Sie schien Ainwa nicht zu verurteilen, sie hatte sogar das Gefühl, Verständnis in ihrer Miene zu lesen.
    Eines Nachts, als Ainwa mit vor die Hütte trat, um kurz der rauchigen Luft im Inneren zu entfliehen, sah sie Gorman vor dem Eingang von Galsingers Hütte sitzen. Er schien verbissen an etwas zu arbeiten. Sie vernahm ein schabendes Geräusch, manchmal auch ein Klopfen und dazwischen Gormans schnellen Atem. Sie wagte es nicht, Gorman etwas hinüberzurufen. Die Gefahr, dass jemand sie hörte, war viel zu groß – also setzte sie sich einfach auf den Steg und beobachtete ihn. Seine Nähe hatte etwas Tröstliches und Ainwa blieb so lange sitzen, bis sie die Eiseskälte der klaren Winternacht wieder in die Hütte trieb.
    Auch in den darauffolgenden Nächten fand sie ihren Bruder vor der Hütte sitzend vor, fieberhaft arbeitend. Ainwa konnte nicht erkennen, was er genau tat, dafür war es zu dunkel. Sie war sich auch nicht sicher, ob Gorman ihre Gegenwart überhaupt bemerkte, aber fortan saß sie jede Nacht auf dem Steg und leistete ihrem Bruder still Gesellschaft, egal, ob sich über ihnen ein klarer Sternenhimmel ausbreitete, oder sich Schneeflocken in ihrer dicken Pelzkleidung verfingen. In manchen Augenblicken kam es ihr vor, als sähe sie ein silbriges Funkeln unter dem Eis des Sees, aber immer, wenn sie genauer hinsah, war es wieder verschwunden.
    Gorman schien die Kälte nicht zu bemerken. Er blieb noch vor der Hütte sitzen, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, wenn ihre Finger sie schon in ihren Otterfellhandschuhen schmerzten.
    Alfanger bemerkte ihre nächtliche Abwesenheit, ließ sie aber wortlos gewähren. Wahrscheinlich, weil ihm in den vergangenen Wochen aufgefallen war, wie gelöst und glücklich sie wieder wirkte und er wollte es nicht aufs Spiel setzen.
    So ging es länger als eine Woche. Doch als sie eines Nachts die Hütte verließ, erblickte sie nur gähnende Leere vor Galsingers Hütte, nur selten durchbrochen von einem verirrten Lichtstrahl, den Galsingers Herdfeuer nach draußen warf.
    Ainwa setzte sich auf den Steg und wartete. Nach einer Weile begann sie zu zittern, nach einer Stunde hörten ihre Finger und Zehenspitzen auf, wehzutun und fühlten sich nur noch taub an.
    Irgendwann wurde das Wisentfell, das den Eingang zu Alfangers Hütte verdeckte, zurückgeschlagen und der alte Heiler legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Du holst dir noch den Tod«, brummte er.
    Sie starrte wortlos zu Galsingers Hütte hinüber, die wie ein dunkler Pilz aus dem erstarrten See ragte.
    Alfanger seufzte.
    »Er kommt nicht, Ainwa.«
    Sie antwortete ihm nicht und presste die Lippen zusammen.
    »Weißt du, ich glaube, er wird versuchen, dich zu treffen, sobald er kann.«
    Sie hob den Kopf und blickte Alfanger an.
    »Er wird es allerdings schwer haben, wenn du hier festfrierst.«
    Sie nickte zögernd, erhob sich langsam und trottete ins Innere der Hütte, wo sie sich am Herdfeuer wärmte, bis wieder pochendes Gefühl in ihre Gliedmaßen zurückkehrte.
     
    Um die Mittagsstunde des nächsten Tages stapfte Ainwa in den Wald hinauf. Einerseits wurde das Brennholz knapp und andererseits wollte sie sehen, ob sie irgendwo Misteln fand, die tief genug hingen, um sie zu erwischen. Alfanger brauchte sie für viele verschiedene Tränke, aber an sie heranzukommen, war schwierig, da sie fast ausschließlich in den Baumkronen wuchsen.
    Da! Sie hatte eine umgestürzte Buche entdeckt, in deren Krone sie etwas Grünes aufblitzen sah. Wie praktisch, dass Misteln im Winter nicht ihre Blätter verloren. Sie

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