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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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langsam die Luft aus. Dann löste sie mit einer schnellen Bewegung ihre Finger von der Bogensehne und beobachtete, wie der Pfeil nach vorn sauste.
    Gorman trat neben sie und schirmte die Augen gegen das Sonnenlicht ab. Den Waldboden bedeckte ein Teppich aus duftendem Bärlauch und Schneeglöckchen. Die Kronen der Laubbäume waren noch licht, aber der Wald war bereits erfüllt vom Konzert zahlloser Singvögel, die die wärmenden Sonnenstrahlen des Frühlings begrüßten.
    »Du hast getroffen«, stellte er überrascht fest.
    Ainwa wandte sich ihm grinsend zu.
    »Etwa eingeschüchtert von meinem Talent?«
    »Eher überrascht, dass du eins hast, abgesehen vom Blumenpflücken natürlich«, gab er mit lächelnden Augen zurück.
    Er lief zum Ziel und löste den Pfeil aus dem großen Rindenstück, das sie an einen Baum gebunden hatten.
    Ainwa beobachtete das Wechselspiel von Licht und Schatten auf seiner Gestalt, als er zurückgelaufen kam. Sie nahm das Brummen der ersten Bienen wahr, die sich hungrig auf die zarten Schneeglöckchen stürzten.
    »Siehst du, nicht ein Stück ist von der Pfeilspitze abgesplittert.«
    »Natürlich, du bist der beste Bogenbauer im ganzen Seenland.« Sie seufzte. »Zufrieden?«
    »Du könntest das ruhig öfter erwähnen«, sagte Gorman großspurig.
    »Glaub mir, nichts lieber als das.« Ainwa stöhnte. »Gestern hab ich zufällig mitgehört, wie Weyrefs Mutter mit Rengemart über meinen Bogen gesprochen hat. Sie denkt, ich hab ihn einem Percht gestohlen.«
    Gorman lachte laut auf. »O bitte, lass sie in dem Glauben.«
    Ainwas Miene verfinsterte sich.
    »Du sagst das so leicht, du bist ja nicht die, vor der sich alle Welt fürchtet … Nicht mal die Kinder lassen sie mit mir spielen.«
    Gormans Miene wurde mit einem Mal wieder ernst.
    »Ein bisschen mehr als ein Jahr, dann werden sie mich zum Häuptling machen und …«
    »… alles wird anders, ich weiß. Warum glaubst du eigentlich, du könntest dich besser gegen diese vier alten Säcke durchsetzen als Alfanger und Vater?«
    »Bei Ata«, rief er mit gespielter Betroffenheit. »Vertraust du mir etwa nicht?«
    »Ich mein’s ernst«, sagte sie.
    »Nun, zum Beispiel, weil dann unser Vater einer dieser alten Säcke wird, und das ist schon mal ein Fürsprecher mehr für dich. Mach dir keine Sorgen. Die anderen werden dich bald genauso sehen wie ich – als Heldin.«
    Sie lief rot an und wandte sich ab.
    »Ein Jahr ist eine lange Zeit.«
    Sie spürte Gormans leidenden Blick auf sich ruhen. Manchmal war sie sich nicht sicher, ob sie selbst oder Gorman mehr unter ihrem Schattendasein litt.
    Gorman legte seine Finger auf ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. In seinen Haselnussaugen lag so viel Reue, dass Ainwa ihren Blick ein wenig senken musste und stattdessen Gormans rote Wangen, den kurzen Bart und seine leicht geöffneten Lippen anstarrte.
    Er lächelte.
    »He, meine Kleine«, murmelte er. »Alles wird gut, ich versprech’s.«
    Ainwa erwiderte sein Lächeln vorsichtig.
    Gorman beugte sich ein Stück nach vorn.
    »Komm morgen wieder her«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Zur Mittagsstunde. Ich muss dir etwas zeigen. Du wirst es lieben.«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich Alfanger erzählen soll.«
    »Erzähl ihm von mir aus, der große Ata ist dir im Traum erschienen. Ganz egal, was … Komm einfach, bitte.«
    »Und wenn die anderen misstrauisch werden?«
    Er richtete sich wieder auf. »Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist«, erklärte er grinsend.
    Ainwa seufzte. »Ich werde da sein.«
    »Gut. Und wenn du allein im Wald bist …«
    »… habe ich immer den Bogen dabei.«
    »Und wenn du in Gefahr bist, dann …«
    »Weißt du, ich glaube, das gefährlichste Tier in diesem Wald bist du«, unterbrach ihn Ainwa und richtete ihren Bogen spielerisch auf Gorman. »Sollte ich trotzdem schießen?«
    »Ohne zu zögern, meine Kleine«, sagte er todernst. Er öffnete seine Jacke mit einer melodramatischen Geste und entblößte seine Brust.
    Sie schüttelte grinsend den Kopf und ließ den Bogen sinken.
    »Idiot.«
    »Ach … und was bist dann du?«, meinte er und gab ihr eine angedeutete Kopfnuss.
    »Die schlaue Schwester des Idioten«, sagte sie ernst.
    Sie brachen in lautes Gelächter aus und machten sich auf den Weg zurück nach Ataheim.
     
    Gormans Lachen hallte noch in meinen Ohren wider, ehe mich das Hier und Jetzt übermannte.
    Am ersten Morgen nach Kaukets Aufbruch hatte es zu schneien begonnen und hörte nicht wieder auf, als hätten Herbst

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