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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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Gestrüpp zur Seite und machte eine einladende Handbewegung.
    »Ich hoffe, ein bisschen Nässe macht dir nichts aus.«
    Ainwa lugte zwischen den Zweigen hindurch. Dahinter befand sich eine Spalte im Felsen, durch die der kleine Bach hindurchfloss – eine Schlucht, kaum mehr als schulterbreit.
    »Nach dir«, sagte er und verbeugte sich spielerisch.
    Sie stapfte an ihm vorbei und watete durch den kaum knöchelhohen Bach in die Schlucht hinein. Die Lederschuhe füllten sich mit Wasser und sie hoffte inbrünstig, dass Gormans Überraschung das wert war. Die Schlucht war nicht lang, nach etwa dreißig Schritten öffnete sich die Landschaft zu einer kreisförmigen Wiese, die von allen Seiten von Wald eingeschlossen wurde.
    Sie hüpfte rasch aus dem Bachbett und schüttelte das Wasser aus den Schuhen. Zwei Rebhühner flogen auf und ließen sich in sicherer Entfernung im Gebüsch nieder.
    Die Nachmittagssonne tauchte das austreibende Gras in ein sattes Grün. Die Wiese war bedeckt von den gelben Blüten der Himmelschlüssel.
    »Die Sonne scheint hier länger als unten am See«, sagte er. »Alles blüht früher.«
    Ainwa hatte nicht bemerkt, wie Gorman neben sie getreten war.
    »Es ist wunderschön«, flüsterte sie.
    Gorman lächelte. »Warte erst, wie es hier in zwei Monden aussehen wird. Alles voller Narzissen. Aber um ehrlich zu sein, ist das erst der Anfang. Wir müssen noch ein Stück.«
    Er legte ihr die Hand auf die Schulter und schob sie weiter.
    Sie folgten dem Bächlein, das die Wiese in zwei Teile teilte, bis sie wieder vom Wald verschluckt wurden. Gorman führte sie eine steile Böschung hinauf, bis sich der Wald erneut lichtete.
    Ainwa verharrte, als ihr plötzlich ein lautes Quakkonzert entgegenschlug.
    Das Plateau, auf dem sie sich befanden, war etwa genau so groß wie die Wiese zuvor. Birken, Erlen und ein paar verkrüppelte Fichten bildeten den lichten Baumbestand. Alles war von Tümpeln durchsetzt, an deren Rändern Wollgras und Seggen wuchsen. Der Lauf des Bachs war hier nicht mehr auszumachen.
    »Ein Moor.«
    »Vorsicht!« Gorman packte sie an der Schulter. Eine kleine Kreuzotter schlängelte sich ängstlich davon.
    Gorman lief zu einem der Tümpel hinüber. Moorfrösche brachten sich mit lautem Platschen vor ihm in Sicherheit. Er griff mit einer gezielten Bewegung ins Wasser und kam wieder zu ihr zurück. Als er seine Faust öffnete, erkannte Ainwa einen bunten Molch mit rotem Bauch und schwarz-weißen Punkten.
    »Solche hab ich noch nie gesehen.«
    Gorman grinste. »Ich auch nicht. Nirgends, außer hier.«
    Er setzte den Molch vorsichtig ins Gras, wo er sich mit schaukelndem Gang auf den Weg zum nächsten Tümpel machte.
    »Siehst du den Stein?« Er wies auf einen runden Felsbuckel, der sich am gegenüberliegenden Waldrand aus dem Moor erhob.
    »Sieht fast so aus, als hätte ihn jemand hierher gebracht.«
    »Dort müssen wir hin.« Ainwa seufzte. Wenigstens waren ihre Schuhe bereits nass – und bis zum gegenüberliegenden Waldrand waren es höchstens zweihundert Schritte. Resigniert stapfte sie hinter ihm her.
    Sobald sie in den Wald eintauchten, wurde der Boden wieder trockener. Auch der kleine Bach, den sie im Moor aus den Augen verloren hatte, tauchte wieder auf. Ihr fiel auf, wie alt die Bäume hier waren. Ihre Kronen reichten weit in den Himmel und ließen kaum Sonnenlicht zum Waldboden durch. Es gab praktisch kein Unterholz, nur ein paar Farne und Heidelbeersträucher.
    »Nur noch ein paar Schritte.«
    »Gut. Ich bin nämlich schon ziemlich n…« Sie erstarrte und blickte auf eine unbewegte Wasserfläche hinab, tiefblau … Die schroffen Hänge der Höllberge spiegelten sich darin – und der endlose Himmel. Für einen winzigen Augenblick glaubte sie, ein silbernes Funkeln im Wasser zu sehen.
    »Ainwa?«
    »Was?«
    Gorman blickte sie erwartungsvoll an. »Wie gefällt es dir hier?«
    Sie lief ein paar Schritte, bis sie das Ufer des kleinen, kreisrunden Sees erreichte. Leuchtend grüner Wald umgab seine Ufer. Nichts regte sich. Absolute Ruhe.
    Ainwa ließ sich auf einer Baumwurzel nieder und starrte mit offenem Mund auf das Wasser. Ein kaum wahrnehmbares Gurgeln verriet, dass der kleine Bach hier seinen Ursprung nahm.
    »Ich habe nie einen schöneren Ort gesehen.«
    Gorman lächelte und setzte sich neben sie.
    »Ich hab gewusst, es würde dir hier gefallen.« Er trommelte nervös auf der Baumwurzel herum.
    »Wenn … wenn du möchtest«, druckste er herum, »könnte das unser Geheimnis sein.

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