Die Washington-Akte
verantwortlich.«
Das war ihm bewusst.
Wie vor langer Zeit der Kapitän des Schiffs wurde der Quartermeister bis heute von der Crew gewählt und hatte die Aufgabe, die Interessen der Mannschaft zu wahren. Während der Kapitän bei einem Konflikt die absolute Befehlsgewalt hatte, oblag dem Quartermeister die alltägliche Verwaltung des Schiffs. Er wies die Vorräte zu, teilte die Beute auf, entschied im Streitfall und maß Strafen zu. Ohne die Zustimmung des Quartermeisters war ein Kapitän praktisch handlungsunfähig. Das System bestand bis heute, nur mit der zusätzlichen Komplikation, dass vier Kapitäne über das Commonwealth befehligten. Knox war jedem von ihnen zur Rechenschaft verpflichtet, sowohl einzeln als auch gemeinsam. Außerdem hatte er die Aufsicht über die Crew – die Leute, die direkt für das Commonwealth arbeiteten.
»Wir haben eindeutig einen Spion unter uns«, wiederholte er.
»Ist Ihnen bewusst, was daraus entstehen wird? Die Auswirkungen werden ungeheuerlich sein.«
Knox holte Luft. »Am schlimmsten daran ist, dass Kapitän Hale nicht an Ihrer Entscheidung beteiligt war.«
Diese Bemerkung würde man nicht als aufrührerisch auffassen. Ein guter Quartermeister hatte keine Hemmungen zu sagen, was er dachte, weil seine Macht von der Crew kam, nicht vom Kapitän. Er hatte die drei vor einer Woche gewarnt, dass ihr Plan unklug sei. Die darüber hinausgehende Bemerkung, dass er seiner Meinung nach an Verzweiflung grenze, hatte er für sich behalten. Aber wenn drei der vier Kapitäne einen Befehl erteilten, war es seine Pflicht zu gehorchen.
»Sowohl Ihr Rat als auch Ihre Einwendungen wurden zur Kenntnis genommen«, sagte einer der Männer. »Die Entscheidung haben wir getroffen.«
Aber das würde vielleicht nicht genügen, wenn Quentin Hale erst einmal merkte, was die anderen getan hatten. Diesen speziellen Kurs hatte das Commonwealth auch früher schon eingeschlagen, aber nicht mehr seit vielen Jahrzehnten. Knox’ Vater war der letzte Quartermeister gewesen, der sich an diesem Meisterstück versucht hatte, und er hatte Erfolg gehabt. Aber das war eine andere Zeit gewesen, in der andere Regeln gegolten hatten.
»Vielleicht sollte man Kapitän Hale informieren«, riet er.
»Als wenn der nicht schon Bescheid wüsste«, erwiderte einer der Männer. »Wir werden bald genug von ihm hören. Was werden Sie unterdessen tun?«
Er hatte über diese Frage nachgedacht. Es würde unmöglich sein, die Herkunft der Schussvorrichtungen, die in den beiden Hotelzimmern gefunden werden würden, zurückzuverfolgen. Sie waren insgeheim von Mitgliedern der Crew zusammengebaut worden, und man hatte jedes Einzelteil abgewischt. Wie auch immer der Ausgang gewesen wäre, die Waffen wären auf jeden Fall entdeckt worden, und so hatte man Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Die beiden Hotelzimmer im Grand Hyatt waren unter falschem Namen gebucht worden – Crewmitglieder hatten sich am Empfang verkleidet angemeldet und mit Kreditkarten gezahlt, die mit getürkten Ausweispapieren erworben worden waren. Die Einzelteile waren mit Koffern in die Zimmer geschafft worden, und in der Nacht hatte er die Apparaturen persönlich Stück für Stück zusammengebaut. Ein »Bitte nicht stören«-Schild an der Tür hatte den ganzen Tag über für Ungestörtheit gesorgt. Er hatte beide Waffen von seinem derzeitigen, mehrere Straßen entfernten Standort aus per Funk gesteuert, und die Signale waren jetzt unterbrochen.
Alles war sorgfältig geplant worden.
In vergangenen Jahrhunderten hatten Quartermeister das Recht gehabt, ans Ruder zu treten und das Schiff zu steuern. Das Commonwealth hatte ihm gerade das Steuerrad übergeben.
»Ich werde mich um alles kümmern.«
Malone rang mit einer Entscheidung. Er hatte Special Agents zum Haupteingang des Grand Hyatt laufen sehen. Der Secret Service war gründlich, was bedeutete, dass höchstwahrscheinlich bereits Agenten im Hotel an Stellen postiert waren, von denen aus sie die Straße unten beobachten konnten. Bestimmt hatte man sie kontaktiert und ihnen befohlen, sich beide Zimmer vorzunehmen. Sollte er hier verschwinden? Oder einfach auf sie warten?
Dann fiel ihm der Umschlag in seiner Hosentasche ein.
Er riss ihn auf und fand eine getippte Notiz:
Es war nötig, dass du das hier siehst. Mach die Waffen unbrauchbar, bevor der Präsident eintrifft. Das hier war nicht früher möglich. Warum, erkläre ich später. Du kannst niemandem trauen, vor allem dem Secret Service nicht. Diese
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