Die Wasserfälle von Slunj
dunklen Lände entlang gehend unter den irdischen Sternzeichen der weit ausgespannten Lichter da und dort, schwankte der ganze erlebte Nachmittag jetzt in ihm herauf mit einer – für Zdenko’s innere Raumverhältnisse – fast umfassenden Gegensätzlichkeit: mit dem Duett am Schlusse, kleine Trommel und C-Trompete. Er hatte einen Klassenkollegen besucht, um physikalische Versuche zu sehen, war dabei unversehens über einen Berg gegangen und dann auf der anderen Seite hinabgestürzt in ein anderes Tal: aus dem keine Wiederkehr möglich. Tief befremdet erkannte Zdenko dies gerade an der eigenen Gleichgültigkeit beim Erscheinen des einen ,Engländers‘. Er hätte jetzt nicht einmal sagen können, ob es der jüngere oder der ältere von den beiden gewesen sei. Fest stand dagegen, daß es ein Zurück hier nicht gab, fest stand, daß er am nächsten Sonntage dem bündigen Befehl folgen würde, der auf jenem Zettel stand, den er jetzt im Portefeuille verwahrt trug.
An irgendeiner Ecke hatte er die Lände verlassen, dann noch einmal seine Richtung verändert, und ging nun durch die lange Adamsgasse gegen den Eisenbahnviadukt zu. Nach wie vor und wie zu den Zeiten, als Chwostik hier noch gewohnt hatte, erschienen allabendlich die dunklen Flecke wartender Frauen auf den Gehsteigen und unter den Haustoren. Heute war es noch zu früh für sie, ihre Stunde war noch nicht gekommen. Und sie sollte für Zdenko niemals kommen. Nie lernte er jenen Friedhof kennen, auf welchem ja so viele ihr erstes Erlebnis solcher Art bekümmert und ängstlich bestatten. Dies wurde dem automatischen Verhalten einer imponierenden Dame am Jausentische verdankt.
Aber hier, gerade während dieses Wegstückes durch die Adamsgasse und bis zu dem Viadukt, erhob sich, gesammelt wie noch nie, dieses Nachmittages eigentliche Farbe, und in äußerster Reinheit: ein blitzendes Blau, ein elektrisches Blau, ein fauchender Funke wie jener am Schaltbrette, als Frehlinger den Strom unterbrochen und so den jaulenden Motor abgestellt hatte.
I nzwischen waren die Sachen bei Ing. Monica weit gediehen, ihre Hietzinger Wohnung hatte sie bezogen und ein Wagen und Chauffeur waren von der Schweizer Mutterfirma beigestellt worden. Die Einstandsfeier im neuen Heim zeigte so ungefähr die gleichen Gäste wie das kleine Fest bei ihren Eltern in Döbling aus Anlaß der Rückkehr Monica’s nach Wien. Donald war natürlich da gewesen, diesmal aber auch ihre ältere Jugendfreundin Henriette, welche wir inzwischen einigermaßen kennen gelernt haben. Die neue Wohnung war ein rechter Schatz. Vier behagliche Zimmer-Schachteln übereck, alle Fenster in den weiten Garten. Neue Möbel. Einiges doch von den Eltern. Darunter eine schöne Empire-Causeuse, die im letzten Raume, im Schlafzimmer, stand. Monica freute sich jedesmal, wenn ihr Blick auf dieses Stück fiel.
Ihr Leben war ruhiger und gleichmäßiger geworden, sie strengte sich weniger an, die Dinge fielen in ihre Gleise. Sie konnte Donald jetzt hier bei sich daheim empfangen, aber sie traf ihn dann und wann auch noch in jenem Café im dritten Bezirk. Es lag für ihn bequem. Und ein neuer Anlaß führte sie zu ihrem Onkel, dem alten, noch immer activen Advocaten Doctor Eptinger: dieser hatte die Rechtsvertretung jener Schweizer Gesellschaft, deren Wiener Verlagsniederlassung Monica jetzt leitete, übernommen. Er war ihr österreichischer Syndicus geworden.
Wie war’s mit Donald? Wie wurde es? Unmöglich, das zu sagen, hier etwas Handfestes zu melden. Er war der eigentliche Inhalt ihres Lebens in Wien geworden. Sie aber füllte seine freie Zeit aus. Dann saß er bei ihr, hielt die Pfeife in der Hand, sah Monica an und lächelte. So in Hietzing, wie im ,Café Zartl‘. Mit Henriette besprach sie alles (und diese besprach mit ihr alles). Frau Frehlinger meinte, seine Langsamkeit und Zurückhaltung seien vielleicht nationale Eigenschaften. Damit war nicht viel gesagt. Sicherlich ist Monica ursprünglich nicht gesonnen gewesen, Donald gewisse Grenzen überschreiten zu lassen. Vielleicht war sie’s jetzt doch schon. Aber er überschritt solche Grenzen nicht. Doch ist hier immerhin anzumerken, daß er die Möglichkeit eines Verlöbnisses mit einer der jüngeren Harbach-Pipsis, welche Möglichkeit damals zweifellos bestand, glatt vorüberließ. Die Wünsche seines Vaters in dieser Richtung, unausgesprochene Wünsche, wurden nicht erfüllt. Außerdem: wenn sie, Monica, sich auch nur einen einzigen Tag lang nicht meldete –
Weitere Kostenlose Bücher