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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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Dann kam sie: ein heißer Gletscher.
    So weit seine späteren Erinnerungen an Frau Henriette Frehlinger. Sie waren immer lückenhaft gewesen, wie ein Pfad, der auf einzelnen Steinen über den Bach führt. Aber sie waren nicht von darauf folgenden und verwandten Bildern überlagert. Denn es blieb bei diesem einen Mal.
    Als Monica die Frau Henriette vierzehn Tage oder drei Wochen später fragte, wann sie die Wohnung wieder zur Verfügung haben wolle, sagte die ältere Freundin:
    „Was fällt dir ein, Moni. Ich kann doch nicht ein Liebesverhältnis mit einem Gymnasiasten haben.“
    Begreiflich. Eine autokratische Dame. Viel bemerkenswerter ist es, daß Zdenko niemals, und nicht einen Augenblick lang, erwartet hat, Henriette wiederzusehen oder gar in solcher Weise mit ihr zusammen zu treffen, wie’s Monica gemeint hatte. Für sie, selbstverständlich, schloß diese ganze Sache an’s übrige Leben an und mußte sich also natürlicher Weise darin weiterbewegen. Nicht so für den jungen Herrn von Chlamtatsch. Ja, es gibt plötzliche und abrupte Ereignisse in unserem Dasein, die bis auf den heutigen Tag als einsam glühende Sonnen dort rückwärts im leeren Raume stehen, ohne daß irgend etwas um sie kreisen würde, das auf sie Bezug hätte. Nein, sie haben gleichsam kein System um sich versammelt oder angesetzt, keinen Raum erstellt und gespannt, in den wir hätten eingehen können, keine Welthöhle geschaffen. Sie sind Tatsachen, solche Ereignisse, aber völlig alleinstehende Tatsachen, und dadurch sogar als solche bald fragwürdig (ist das nicht verwandt der vor lauter Diskretion luftdicht abgeschlossenen Liebeskonserve, in welcher einst Rita Bachler und der Landesgerichtsrat Keibl sich befanden?). Jene einsamen Sonnen sind uns unendlich kostbar. Manchmal fragen wir zu ihnen hin. Aber sie antworten nie. Sie sind zu vornehm dazu. Sie haben sich nie unter das Volk der wimmelnden Tatsachen gemischt. So etwas war natürlich für Ing. Monica Bachler unverständlich. Man mußte die Sachen doch fortsetzen, also eigentlich erst Sachen daraus machen (recht hat sie ja, in ihrem Sinne, wir leugnen es nicht!), also etwa die Sache Donald. Dabei saß er ihr gegenüber, neben seinem Leben im Fauteuil (ohne in dieser Angelegenheit den Anschluß daran zu finden), hielt die Pfeife in der Hand, lächelte. Uns reißt’s schon wieder im Stiefel, der Leser weiß schon, wie wir’s meinen.
    Dem Zdenko aber konnten nun weder die beiden ,Engländer‘, von denen man jetzt wußte, daß sie wirklich Engländer waren (eine beruhigende Ordnung der Dinge!), noch ein Laboratorium in der Schwaibengasse mehr einen besonderen und imponierenden Eindruck machen. Ihm war zeitweis fast so, als hätte er den Hintergrund aller dieser Sachen hervorgezogen, ja, als habe er sie erstmals und durch Augenblicke recht eigentlich von rückwärts gesehen, wie auch die Frau Henriette (in jedem Sinne). Beides blieb unvergeßlich, besser: unausrottbar.
    Aber, solche Fracht bergend, und wegen ihrer Verletzlichkeit besorgt, errichtete er sich einen Schutzwall befremdlicher Art; mindestens paßte der wenig zu alledem, was man so die Verwirrungen eines Schülers nennt, wie denn der ganze M.C. überhaupt sich herzlich weit entfernt von allen , Schülertragödien‘ befand. Sie waren damals gewissermaßen in Mode und führten sogar zum Erscheinen einer Zeitschrift von revolutionärem Charakter, welche ,Das Klassenbuch‘ hieß und sich gegen die zu jener Zeit in den Mittelschulen bestehenden Gepflogenheiten wandte.
    Nicht etwa, daß in Zdenko nun eine Erinnerung brannte, die er durch gesteigerte Lernarbeit zu bekämpfen suchte: das wäre ihm schwerlich gelungen. Aber es brannte nichts. So weiß das Feuer gewesen: der Rost war jetzt kalt und grau. Und manches, was früher seine Seitenblicke gehabt hatte – Mädchen, Bücher, Bilder – fiel nun leblos aus der Beachtung. Was unausrottbar blieb, das war die Wendung, welche die ihn umgebenden Wände plötzlich und für ein Kurzes vollzogen hatten, dann wieder zurückschwankend in die alte Lage, wie ein Vorhang, der sich beruhigt. Die verletzliche Fracht aber, in der eigenen Brust geborgen, wurde von nichts anderem gebildet als von seiner neuen Erwachsenheit. Niemand durfte ihr nahetreten. Die Schule mußte zur reinen Spielerei herabgedrückt werden. Hatte er vordem aus ,Dandysmus‘ gelernt (um die ,impassibilité‘ darzustellen), so geschah es jetzt, genau genommen, nur aus Diskretion, aus dem Willen, abgeschlossen in sich

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