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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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hervor. Er sah sich nach allen Seiten um, Zdenko wurde vorgestellt, Händeschütteln. „Ich kenn’ Ihren Papa, Herr von Chlamtatsch“, sagte der Direktor, „erst vor ein paar Tagen, in Hacking, in der Harbach-Villa, sind wir daraufgekommen, daß unsere Herren Söhne in der gleichen Gymnasialklasse sitzen. Wie geht’s zuhaus?“ „Danke, Herr Direktor, sehr gut“, sagte Zdenko und verbeugte sich leicht.
    Man sah es Frehlinger sen. an, daß der junge Mann ihm gefiel. Zudem schien er in bester Laune zu sein. (Wie macht der das, wenn er immer so ist? dachte Zdenko plötzlich.) Wenn der Direktor zu den jungen Leuten „meine Herren“ sagte, war dem stets ein leicht parodistischer Unterton beigegeben. „Was habt ihr da für eine blaue Sauce?“ fragte er und wies lachend auf den Werktisch. „Unfreiwillige Elektrolyse von Kupfer als Demonstration möglicher Fehlerquellen“, sagte Professor Heinrich heiter und korrekt. „Na, bei uns im Werk ist kürzlich eine freiwillige mit Pauken und Trompeten und glorreichem Kurzschluß daneben gegangen. Jetzt gehen wir zur Jause, meine Herren, die Mama wartet.“
    Er schritt ihnen voran. Zdenko war es später, in der Erinnerung, immer, als seien sie nun sehr lange gegangen; und je mehr in die Tiefe der Zeiten ihm dieser Nachmittag und Abend entwichen, desto weiter streckte sich im Raume ein Weg, der zwar durch eine fast endlose Wohnung führte, immerhin aber im ganzen nur durch fünf oder sechs Zimmer. Es bewohnte der Direktor Frehlinger mit den Seinen, wie schon erwähnt worden ist, ein ganzes Stockwerk, das ursprünglich zwei große Wohnungen umfaßt hatte; jetzt waren diese verbunden. Die weiten Gemächer, durch welche man schritt, zeigten die Möblierung und den Charakter reiner Gesellschaftsräume, es waren Salons, im Stile jener Zeit eben, mit da und dort stehenden Tee-Tischchen, brokat-bespannten Sitzmöbeln, Causeusen, Fauteuils, Wandschirmen – sogenannten Paravents – die seidig glänzten und den obligaten hochstieligen Lampen mit breiten Schirmen. Hinter alles das konnte Zdenko in späteren Jahren mit seiner Erinnerung nicht so lebhaft zurück, wie eben gerade bis hierher: bis gerade zu diesem Schlußbild eines Lebensabschnittes, welcher ungefähr mit der Gründung des M.C. begonnen hatte und nun hier mit dem Gehen durch diese Zimmer endete. Zdenko dachte noch – und es war das letzte, was er sozusagen noch im alten Raume, in der alten Zeit dachte – daß es bei seinen Eltern nur einen einzigen solchen Salon gab. Im Vorbeigehen sah er in diesem Augenblick an der Wand unter Glas und Rahmen eine riesenhaft vergrößerte Photographie der mächtigen Eisenbahnbrücke über den Firth of Forth in England (der Vater des Direktors war einer der leitenden Ingenieure bei ihrer Erbauung gewesen). Dies also war das letzte im Schlußbild. Dann überstürzten sich die Ereignisse.
    Man betrat ein sehr weiträumiges Speisezimmer mit schweren dunkeln Möbeln. Unter dem obschwebenden elektrischen Lüster saß hier an dem zum Nachmittagskaffee gedeckten Tische machtvoll die Hausfrau: das heißt (und jetzt sehen wir aus Zdenko’s Augen), sie explodierte immerwährend nach allen Seiten, vernichtete den Raum rund um sich und machte sowohl Menschen wie Dinge unsichtbar. Ihre Imposanz aber war nicht nur im Sitzen groß. Als sie später von dem weißbeschürzten Stubenmädchen die Meldung erhielt, es sei „die Frau Ingenieur“ am Telephon, und nun hinaus schritt (man hatte das Klingeln aus einem entfernteren Raume gehört), erschien ihre große Gestalt von dem Nachmittagskleide nicht umspielt, sondern mit diesem bespannt. Aber zu jenem Zeitpunkte (als das Telephon klingelte) war eigentlich alles und jedes schon passiert und nicht mehr aufzuhalten, zu bremsen, rückgängig zu machen.
    Wir, die wir nicht (wie Zdenko) beim Anblicke der Frau Henriette Frehlinger den Verstand verloren haben, würden sagen, daß sie schon eine der Mama Harbach ähnliche Erscheinung war, nur eben um mindestens fünfzehn Jahre jünger.
    Alles war sofort passiert. Sie sah ihn an, den Jüngling (Mitglied des M.C.), und fraß ihn auf. Er aber erbleichte. Vater und Sohn sprachen eifrig was Chemisches, und es mußte durchaus so aussehen, als ob der Gast sich in höflichem und gedämpftem Gespräche der Hausfrau widme. Deren Fußspitze spürte Zdenko jetzt mit zunehmendem Drucke, und während Frau Henriette Aug’ in Aug’ mit ihm verblieb, trat dieser Druck machtvoll durch das Tor der Unzweideutigkeit und

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