Die Wasserfälle von Slunj
bemerkte. Münsterer war also nie ganz abgeschieden gewesen, nie hinter jene undurchdringliche Wand geraten und in einen unbestimmten Raum, der wie unendlich scheint, weil ihm alle Einzelheiten fehlen, und wo diejenigen wesen, die aus unserem Leben sich endgültig hinausgewendet haben, und sei’s auch oft nur fünf Gassen weit, oder noch näher, oder ganz nahe: und man erkennt sie dann nicht mehr, weil man sie in Wahrheit nie gekannt hat. Aber Münsterer war von ihm sofort begrüßt worden.
Jetzt erst ward Chwostik dieser Sachen recht inne, des Ungewöhnlichen und doch Begreiflichen, das mit dem Auftauchen des Postmeisters sichtbar wurde. Er nahm das Wechselgeld vom Tische, das die Kellnerin vor ihn hingelegt hatte, und schob es in die Westentasche, und schon auch wurde ihm bewußt, daß er dies ganz gegen sonstige Gewohnheit tat, nicht die drei großen Fünkronenstücke und noch einiges mit Sorgfalt in der Börse bergend. Diese Stunde prägte sich aus bis in die kleinsten Kleinigkeiten.
In der Wirts-Stube hatte man das Licht angezündet, in den Fensternischen stand bläulich die Dämmerung. Sie verabschiedeten sich herzlich von dem Postmeister und schritten zum Wagen, wo eben der Chauffeur nach seinem beendeten Imbisse auch eintraf. Der Wagen schlug die starken Licht-Augen auf. Man glitt talab, davon, mit Vorsicht auf der kurvenreichen Dorfstraße.
Man verließ das Gebirge, die Fahrt ward flach und rasch. Chwostik hatte diesmal vorne neben dem Chauffeur Platz genommen, obwohl man zu dritt im breiten Fond des Wagens bequem gesessen war. Er wollte allein sein.
Als sie an der ,Spinnerin‘ – damals stand diese mittelalterliche Lichtsäule noch freier auf der Höhe des Wienerberges als heute – vorbei waren und in die hier sehr lärmende Stadt einfuhren, kam Chwostik endlich von dem Münsterer los, der ihn die zwei Stunden der Fahrt hindurch immer wieder beschäftigt hatte. Zuletzt fiel ihm noch ein, daß er Münsterer’s neuen Dienstort nicht wußte. War das nicht erwähnt worden?
Durch den ausgedehnten Bezirk Meidling, den enormen Raum des kaiserlichen Parks umfahrend, und dann an der Front des Schlosses Schönbrunn, dunkel in der Dunkelheit, weitab vorbei, das tief eingesenkte Bett des Wienflusses entlang, und endlich die Auhofstraße. Als sie hielten und ausstiegen, und während Clayton sich von Monica verabschiedete, und sodann er selbst, Chwostik: von allen Seiten stürzte da alles in diese Augenblicke herein, nahes und fernes, das Gartenfest neulich und was danach gefolgt war, die ferne Adamsgasse dahinten und der nahe Münsterer.
Sie fuhren nun gegen die Innere Stadt und durch diese hindurch, in ihre Gegend, Richtung Prater. Chwostik wünschte nicht, daß in seine Straße abgebogen werde. So ließ Clayton an der Ecke halten. Händeschütteln, der Wagenschlag klappte, der Knight-Minerva rollte davon, gegen die Brücke.
So fand er sich denn allein hier stehend, in vertrauter Gegend. Es war dunkel, aber keineswegs spät. Chwostik folgte dem Gehsteig, schritt aber dann an seiner Haustür vorbei.
Und weiter. Und in die Adamsgasse. Es ist wahrscheinlich das erste Mal, seit seinem Weggange von hier, einunddreißig Jahre vorher, gewesen, daß er wieder durch diese Gasse ging. Vor seinem einstigen Wohnhaus – er sah’s von weitem schon im Schein jener Gaslaterne, die unweit des Tores, wie eh und je sich befand – verweilten die Gestalten der Nicht-Passantinnen.
Nun machte er ja, wie wir schon wissen, seinerseits auch Gebrauch – wenngleich in soignierterer Weise und nicht in der Vorstadt – von solcher Einrichtung, die, neben einigen anderen (worunter etwa auch die lyrische Dichtung und der betrügerische Stand der Kaufleute) zu den ältesten der Menschheit gehört. Doch so, wie sich dies vor Zeiten und in seiner nächsten Nähe dargeboten hatte, war es gewissermaßen unter seinem Horizont gelegen; vielleicht weil er zu nahe daran gelebt. Es hatte sich unterhalb seines Blickwinkels befunden, im nicht eingesehenen Raum. Inzwischen aber war weite Distanz genommen worden. Und jener süße Duft einer obstigen Fäulnis, der jeder aufgesuchten Stätte früherer Jahre eignet, tat das seine.
So stieg er ein und saß schon (wie er vermeinte) im falschen Zuge, und schon fuhr der auch an, und er konnte jetzt nicht mehr aussteigen, ohne Skandal zu kriegen (das wußte Chwostik wohl). Es war eine ältere beleibte Frau, aber keineswegs unhübsch, und mit freundlichem, gutartigem Gesichtsausdruck.
Sie sperrte das
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