Die Wasserfälle von Slunj
Berggasthofes unterhalb der Paß-Straße über dem fast schwindelnden Luftabgrund, so wie sie dorthin gehört hatte, wo sie die Nacht über gelegen war. Überraschend erschien der Rand des Sonnenballs wie ein Stück hellglühender Kohle. Noch drang kein Strahl hierher. Monica schlüpfte in das Zimmer zurück. Die Tür quietschte kurz. Sie kroch ins Bett und rollte sich unter der Decke zusammen. Bob schlief noch.
I n der Tat war er der Lokomobile wegen kurz in Ungarn gewesen, dann aber von Ödenburg über Sauerbrunn nach Wiener-Neustadt gefahren und hierher in’s Gebirge, um Monica zu erwarten. Auch sie kam nicht mit ihrem Wagen, sondern mit der Bahn, und von der letzten Station vor dem Semmering-Viadukt in drei – und einhalbstündiger Fahrt mit einem gemieteten Fiaker herauf.
Hier war man abseits. Schon gar werktags und vor der Ferienzeit.
Chwostik hielt die Verbindung. Das sagt eigentlich schon alles über die Position, welche er einnahm, das Vertrauen, dessen er genoß. Old-Pēpi meldete auch Donald’s Eintreffen. Die Telephongespräche wurden von Chwostik aus seiner Privatwohnung und in englischer Sprache geführt.
Das Eintreffen Donald’s wäre kein Grund gewesen, die Tage hier im Gebirge zu kürzen. Aber es stand ein Abend-Empfang beim alten Gollwitzer bevor (eine ,Soiree‘ sagte man damals) und hier mußte Clayton diesmal wohl erscheinen, nachdem er beim letzten Male gefehlt hatte, erst recht jetzt, vor Donald’s Orientreise, die ja auf dem Rückwege auch noch nach Bukarest und zu Gollwitzer & Putnik führen sollte.
Monica war übrigens auch geladen. Ihr hätte es freilich nichts ausgemacht, den Abend zu versäumen. Doch setzte das Geschäft ihrer Abwesenheit Schranken.
So wurden es nur wenige Tage, und diese waren die Frucht eines plötzlichen Entschlusses beider als Robert nach Ungarn mußte. Es war eine Flucht zugleich. Sie mußten sich loslösen. Nicht einmal in Monica’s kleiner Wohnung in der Auhofstraße fühlten sie sich abgetrennt genug von allem bisherigen. Hier aber waren sie versetzt, verhoben und herübergeschwenkt in eine Art Jenseits im Diesseits, das sie so dicht, wie es jetzt sie umschloß, doch nicht sich hatten vorstellen können. Die Tiefe der Wälder schlug über ihnen zusammen, ihr grenzenloses Auf-Sich-Beruhen, ihre Stille, in welche bei geöffneten Schneisen oder Lichtungen ein ragender Ausblick fiel. Man hatte einst, vor langer Zeit, waagrecht an steilen Hängen entlang laufende Pfade angelegt, im vorigen Jahrhunderte, als der Kaiser in seinen jüngeren Jahren hier noch auf den Hahn gegangen war. Nun boten die Reste dieser Wege mit elastischem Nadelboden da und dort dem ziellos wandelnden Paar lange Einblicke in den Wald, bestreut mit Sonnenkringeln, besäumt von mächtigen Moospolstern. Man ging an den Wald verloren. Er endete nicht, er begann nicht, er hatte die ganze Gegend, samt Robert und Monica, in seinen dunklen Mantel eingeschlagen und eingewickelt.
So fuhren sie denn auch, als es so weit war, unvermittelt und mitten aus dem Walde nach Wien, zwei Stunden und mehr bergab im Trabe und bei dann und wann leicht schleifender Bremse, erst über die Windungen der Paß-Straße mit eröffneter Aussicht, und unten durch die Ortschaften bis zur Bahnstation. Eine Rückkehr, ein Wieder-Eintauchen, ein tiefes Befremden schon auf dem Perron in Payerbach-Reichenau, wo es einen Zeitungs-Stand gab und einen Hoteldiener, der Gepäck heranfuhr.
D onald, nachdem er mittags auf dem Heimwege die Gymnasiasten getroffen hatte, blieb nachmittags der Fabrik fern; er sprach nur einmal telephonisch mit Chwostik. Beim Essen dürfte er auf den dicken Augustus wortlos einschüchternd gewirkt haben, denn dieser verschwand, sobald es nur angehen mochte.
Auch hier und diesmal legte sich Donald nach Tische flach auf den Diwan, bei geringer Hoffnung einschlafen zu können. Es gelang jedoch, wenn auch nur für einige Minuten. Während dieser vermeinte er, sein kleines Schulbänklein aus Brindley-Hall stehe hier neben dem Sofa. Er sprang empor und trat auf die Galerie hinaus. Genau gegenüber lag das Zimmer seines Vaters. Es wehte ihn plötzlich an, wie schön diese beiden Häuser waren, in ihren Parks gelegen, so Brindley-Hall wie die Villa hier in der Prinzenallee. Der strenge und saubere Duft vom Leder der zahlreichen Fauteuils in der Halle war bis herauf zu spüren, lag in der Lautlosigkeit und der stehenden Luft. Doch trennten ihn davon Angst und Ärger. Sie machten die Einsamkeit ungenießbar.
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