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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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Er war heute zum Spielball der Gymnasiasten geworden, auf der Straße, so empfand er es; und Augustus erschien ihm wie das Haupt eines gegen ihn gerichteten Komplotts von Lausbuben. Irgendetwas ging zu weit bei alledem. Es galt zurückzutreten davon, zurück in eines dieser beiden reservierten und gepflegten Häuser, nicht auf der Straße mit den Gymnasiasten herumzustehen. Sie erbitterten ihn, Augustus samt seinen Freunden.
    Er trat in sein Zimmer zurück und machte etwas Toilette. In der Halle unten sprach er telephonisch mit Chwostik. Dann mit dem Verlage am Graben, vergebens. In der Auhofstraße meldete sich niemand. Nun ging er, durchaus in der Absicht des Entrinnens. Er wollte jetzt irgendeinen Teil der Stadt aufsuchen, wo er vordem nie gewesen. Allein, ohne Wagen, ohne Chauffeur.
    D as Wirtshaus der Maria Gründling hinter der Matzleinsdorfer Kirche war ein seltsames und stand in krassem Gegensatze zu jeder wienerischen Art, sowohl der damaligen wie der heutigen; im übrigen ändert sich ein National-Charakter in fünfzig Jahren nicht bemerklich. Vielleicht auch überhaupt nie. Hier aber konnte von wienerischer Art der Bedienung eines Gastes keine Rede sein. Mitunter wurde man hinausgeworfen, bevor man noch Platz genommen hatte, und auf die Bestellung eines Krügels Bier erwiderte die umfängliche Wirtin in grobem Tone, man möge gefälligst schaun, daß man weiterkomme, sie wolle jetzt schlafen.
    Dennoch waren die zwei geringen Stuben stets voll von Gästen, obwohl mitunter auch alle zugleich plötzlich an die Luft gesetzt wurden, oder einem einzelnen das Verlangte in barscher Weise verweigert ward, mochte der auch im höflichsten Tone es erbeten haben, und es sich nur darum gehandelt hätte, die Kleinigkeit, etwa Schinken oder Wurst, vom Buffet herbeizutragen: auch das blieb verwehrt, obgleich die Gäste sich hier ohnehin selbst und sogar gegenseitig bedienen mußten, aber unter dem Kommando der Wirtin. So hieß es etwa: „Was brauchen Sie jetzt a Schinkensemmel?! An Schmarrn. Aber dem Herrn Pühringer dürfen S’ a Viertel Wein bringen.“ Die Wirtin erhob ihre 128 Kilogramm fast niemals vom Stuhle, und einen Kellner hielt sie nicht.
    Dennoch, es gab Leute, die durchaus in kein anderes Wirtshaus gehen mochten, denn etwelchen Theaters konnte man hier immer gewiß sein: etwa unvermittelte Hinauswürfe von Gästen, die der Wirtin gerade heute und zur Stunde nicht zu Gesicht standen („Ihna mag i heut’ net sehn, schaun S’ daß weiterkommen!“), aber auch ebenso offene Sympathie-Erklärungen, wie: „Des G’sichterl seh’ i gern. Bist a Schatzi. Kriegst heut a Wurscht.“ Die letztere Ansprache richtete sich an einen pensionierten Magistratsrat von sechsundsiebzig Jahren, einen gütigen alten Herrn, der seiner Einsamkeit hierher entrann, um zu lachen. Tat er’s aber zu viel, dann wurde ihm ein Dämpfer aufgesetzt: „So ein alter Mann wie du, hat’s garnet not, so blöd z’lachen. Dö Gruben wart’ scho.“ Beliebte Gäste wurden gedutzt.
    Ein solcher war auch der akademische Maler Graber, älterer beleibter Gentleman, ein hervorragender Künstler und der beste Märchen-Illustrator seiner Zeit. Dieses gemütliche Individuum, das ein großes und auf den ersten Blick als bedeutend zu erkennendes Antlitz hatte, in dessen Mitte eine Nase à la Posthörndl saß, nahm einen Ehrenplatz neben der Wirtin ein und insofern auch eine Ausnahmsstellung, als ihn von ihrer Seite wieder Hinauswürfe noch Verweigerungen dessen, was er jeweils bestellte, noch auch zarte sinnige Hinweise auf das ihn erwartende Grab oder ähnliche Dämpfer bedrohten. Innerhalb der hier herrschenden Bedienung der Gäste durch die Gäste oblag ihm oft die Funktion, das Buffet zu öffnen und wieder zu versperren, wenn jemandem kalte Küche war bewilligt worden (eine andere gab es hier garnicht), wozu er jedesmal von der Wirtin den Schlüssel vom Schürzenband erhielt.
    Graber, ein höchst arbeitsamer Mann, der die Welt kannte und mehrere Sprachen beherrschte, kam hierher, weil er das abendliche Bier und den Frieden liebte. Dieser war garantiert, was ansonst in solchen Beisln ja keineswegs immer der Fall ist. Aber die Gäste der Maria Gründling wären wie ein Mann aufgestanden, wenn irgendwer randaliert oder die Autorität der Wirtin nicht respektiert hätte. Ein solcher hätte sogleich sämtliche anwesenden Mannsbilder gegen sich und mindestens sechs Paar Fäuste am Kragen gehabt, unter ihnen auch die recht beachtlichen des Herrn

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