Die Wasserfälle von Slunj
nach südlicher Unsitte fortgeworfene Fruchtschale tretend, gewann es wieder mit einer ausfahrenden und langstieligen Bewegung, winkte dann noch einmal zurück und schritt davon. Im Weitergehen warf Zdenko einen Seitenblick auf Heribert, der wirklich nichts gemerkt zu haben schien. Für ihn aber, jetzt wieder, schwangen die umgebenden und abschließenden Wände wie um Angeln oder Zapfen. Jedoch, sie schlossen sich nicht mehr so ganz, wie es, einige Zeit nach Frau Henriette Frehlingers Auftreten, doch wieder gewesen war. Jetzt blieb ein Spalt. Durch ihn blickte Zdenko erstaunt einer Wirkung nach, die hier und eben jetzt in ein gänzlich fremdes Leben von ihm getan, und entlassen worden war in ihren weiteren Lauf. (,Von uns‘, hätte er wohl denken sollen, denn gerade so wie von ihm hätte ja von Heribert jenes Fräulein Bachler erwähnt werden können.)
So traf sich Zdenko zum ersten Mal in Zusammenhängen enthalten an, die er nie gemeint und von denen er nichts gewußt hatte, und damit gewissermaßen als ein ihm bis dahin unbekanntes Objekt. Dies nun fiel ihm zwar nicht als Erkenntnisfrucht von Blei auf den Kopf, dazu war es zu zart, wohl aber erschien wie mit einem Schlage alles viel reizvoller und des Erforschens wert: ein Leben, in welchem er, Zdenko, vorkam, aber nicht als der Zdenko, von welchem er wußte. So machte er in wenigen Sekunden hier auf der Straße eine Art Reifeprüfung, zu welch letzterer doch in der Schule nach Jahr und Tag erst anzutreten war. Allerdings hatte man im M.C. die Praeparation dazu schon erheblich weit vorangetrieben.
Weiter durch den Spalt blickend, handhaft und anschaulich denkend (jeder allgemeinere Akt der Intelligenz blitzt ja nach in vielen Einzeltugenden), erkannte er unschwer Wesensart und Biesterei des Dickerls, und wußte schon im ganzen beinahe so viel wie Chwostik, und sogar vom Ernst der Lage. Jetzt sah er Robert Clayton den dunkel geteerten Schiedsrichterstuhl herab klettern und zu Monica auf die Terrasse gehen, wo er blieb.
Es stand ein Sommer bevor bei der kroatischen Tante, ein langer, leerer, geräumiger Sommer. Natürlich würden ihn die Eltern als Vierten beim Tarock brauchen. Aber man konnte vielleicht auch weit wandern in dieser Gegend. Und viel denken.
M onica erwachte beim ersten Tageslicht, setzte sich aufrecht, rückte zu Robert hinüber und beugte sich über den tief Schlafenden. Sein Gesichtsausdruck war der eines sehr ernsthaften kleinen Buben. So, aus der Nähe und ungestört, konnte sie diesen Kopf, diese Physiognomie genießen. Gute Pferde haben ,trockene Köpfe‘, wie die Reitersleute das nennen; sauber; nichts Überflüssiges; keine Fett-Ansammlungen, Täschchen, Schwellungen, Schoppungen, Wülstchen oder Wülste. So Robert. Sie hatte die hohle Hand neben seinem Haupte liegen, offen und kraftlos vor Entzücken. Jetzt drehte sich der schlafende Mann ein wenig, und noch einmal, und damit lag sein stark gewölbter Hinterkopf in ihrer hohlen Hand. Sie umfaßte ihn und drückte die Finger leicht zusammen. Jetzt, ganz deutlich an Donald’s flachen Hinterschädel denkend, begriff sie wie noch nie die Attrappen-Natur dieses Sohnes, der vor seinen Vater gestellt gewesen war wie ein Wandschirm, oder eigentlich nur eine angelehnte Tür. Sie war hindurchgegangen. Jetzt fühlte sie ihre rechte Hand wie ausgefüllt von einer Schale, nicht weniger enthaltend als das Geheimnis ihres eigenen Lebens.
Zu bewegt, um regungslos liegen zu bleiben, küßte sie Robert leicht auf die Stirne, zog achtsam ihre Hand unter seinem Haupte hervor, glitt aus dem Bett und in ihren Überwurf. Die Glastür zum kleinen Balkon quietschte leicht. Monica sah erschrocken auf den Schlafenden. Da lag er und schlief. Eindeutig, sich selbst bedeutend, nichts weiter als das, ein einfacher Mann.
Nun trat sie hinaus und ließ die Tür angelehnt. Hier empfing Frische, fast Kälte, und ein Schweigen, das kein Geräusch aus dem noch schlafenden Hause unterbrach. Die spitzen Wipfel der Fichten am steil abfallenden Hang unter ihr schlossen sich in den weiteren Entfernungen zu einem moosigen Ganzen zusammen, das in steilen Stürzen zu Tal wogte, die unten sich voreinanderwarfen und dunkel verschränkten. Dort kam der Tag, und sein von waagrecht schwebenden zarten Wolkengebilden verhüllter Schoß, rot und gelb erglühend, war die einzige Stelle am Himmel, die im leeren, lackreinen Blau dem Auge einen Anhalt bot.
Sie gehörte hierher, Monica, auf diesen Balkon vor einem der Zimmer des
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