Die Wasserfälle von Slunj
schweren silbernen Fünfkronen-Stücke, für Großtrinkgelder überaus geeignet; wir lernten sie in dieser Funktion schon kennen. Mit ihnen hat vordem Chwostik die Wenidoppler gebannt, von Münsterer inspiriert (wie letzteres eigentlich vor sich gegangen war, ist uns selbst nicht ganz klar, aber es war eben doch so gewesen, da kann man nix machen). Nun, die offene Hand zeigte Gergelffi erst beim Weggehen und im Vorzimmer, nachdem er sich drinnen von Margot und László verabschiedet hatte; der letztere war intim genug mit ihm, um ein zeremoniöses Hinausgeleiten zu unterlassen, obendrein zu faul, und drittens angetrunken. So konnte Tibor draußen alles rasch zurecht kriegen, den Obolus und ein Kärtchen mit einer Telephon-Nummer in eine ebenfalls offene, aber kleinere Hand praktizieren. Einen Kuß gab es auch gleich. Sehr rasch ging’s voran, und auch das weitere, muß man sagen! Denn von da an führte Marika ein neues Leben, welches unter anderem auch darin bestand, daß sie zum ersten Mal die Budapester Champagnerlocale kennen lernte (die zweitklassigen).
Dies also hatte von jenem Abende am Ligeti-fasor seinen Ausgang genommen, und man sieht, daß dazu – zwischen Petöfi und Margot – noch genug Platz verblieben war. Raum ist für den Unfug nicht nur in der kleinsten Hütte, sondern auch zwischen zwei Wimpernschlägen, oder Lipp‘ und Kelchesrand. Aber Frechheit war es schon allerhand.
Und doch ging sie nur ganz zwischendurch, diese Frechheit. Sie hat die Tiefe der Eindrücke, die Tibor den ganzen Abend hindurch von Margot empfing, nicht gemindert. Es hat Augenblicke gegeben, während dieser verfliegenden Stunden eines ungewöhnlich ausgedehnten Beisammenseins, in welchen ihn der abseitige Wunsch anflog (und wie eine letzte, höchste, äußerste unter allen seinen Möglichkeiten!) sich in Margot verlieben zu können – bei allen Schrecken, die das bedeuten mußte – und nicht in irgendeine Marika (noch ohne Stiefelchen, aber hier sollte ja was werden!).
S o ging er spät weg, zunächst freilich noch an das Mädchen denkend, ein wenig schwer vom Wein, und nahm nicht die Untergrundbahn zum Stadtzentrum, was hier nahegelegen hätte, sondern schritt zu Fuße dahin.
Am Octogon, in der weiten Dunkelheit, die gleichmäßig von den Bogenlampen akzentuiert war, erhob sich in ihm jetzt doch ein Gefühl von Fragwürdigkeit, welches hintnach noch diesen ganzen eben durchlebten Abend umfassen und überschwemmen wollte. Es war Tibor Gergelffi gewiß nicht das, was man einen Intellektuellen nennt. Doch hatte er die Gegensatz-Sprünge, in denen sich nun einmal all’ unser Denken vollzieht, stets lebhaft und weit vorangetrieben. Und wenn ihm schon keine Bildung eignete, so doch beinahe etwas wie Dialektik. Stets griff er da lebhaft zu, mit einer gewissen Energie. Sie brachte ihn jetzt in wenigen Augenblicken so weit, sich einzugestehen, daß Theorie und Phantasterei eher auf seiner Seite gewesen waren, als er László als das einzig Mögliche empfohlen hatte, kurzer Hand davonzugehen, nach Bucuresti nämlich. Jetzt, unter dem anschaulich gewordenen Gewichte der Sachen, erschien ihm seine eigene Empfehlung – so vernünftig immer sie gewesen sein mochte – als nichts anderes denn naiv.
Aber, wie denn – bleiben?! Diese ganze Lage, von einer Last beschwert, die anonym verbleiben mußte und geheim, und dabei ständig bei László auf des Lebens Nerv drückte, konnte sie denn anderswo hinauslaufen als auf ein Ende mit Schrecken, und je später, desto schlimmer, weil inzwischen Illusionen sich einschleichen mußten, die ja unentbehrlich waren, um solche Gegenwart erträglich zu machen?! Etwas anderes war eben doch nicht zu halten von László’s Gerede, Margot zu ,erobern‘. Seine innerste Gesinnung stand ja auf die Flucht. Ganz von selbst hatte er dort drüben, hinterm Schwabenberge, jene unvermutete Eröffnung getan: daß sein Onkel in Rumänien jederzeit bereit sei, ihn nach Bucuresti in’s Geschäft zu nehmen.
Gergelffi blieb stehen. Er war längst auf die Andrassy-ut gelangt. Es galt augenblicklich, sich klar zu werden, auch die Richtung für das eigene Verhalten neu zu gewinnen, ob er gleich eine Grenze überschritten hatte, und in eine Art Nebel geraten war, durch die Annahme dieser Einladung für heute abend (nun was denn hätte er tun sollen – aber, halt! László hat ihn ja vorher sozusagen unter der Hand gefragt, und es wäre möglich gewesen, gleich energisch abzuwinken!). Der Nebel. Worin bestand er?
Weitere Kostenlose Bücher