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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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hätte ihr ein solcher zweiter und vertrauter Mensch werden können. Aber es lag außerhalb des für Margot Möglichen, das unscheinbare und distinguierte ältere Mädchen mit dem groben und handhaften Geheimnisse der eigenen Person vertraut zu machen, welches zugleich doch den einzigen Schlüssel zum Verständnis ihrer Lage bildete und im Grunde alles und jedes bedingte. Bei Irma genoß sie einen aus Freundschaft erteilten, regelmäßigen und gründlichen Unterricht im Ungarischen. Diese Stunden, im Elternhause Irma’s, bildeten für Margot jedesmal ein feriales und von allem losgelöstes Glück, eine Insel, als solche unverbunden mit dem Kontinente ihres Lebens, auf welchen zurückzukehren sie doch gezwungen war.
    Also auch hier, wie überall, eine Mauer. Manchmal packte Margot in solcher Ummauerung die Angst.
    Für Irma Russow war sie die schöne bewunderte Frau, mit allen Gaben der Wirkung gesegnet, welche ihr selbst fehlten, und die kein Reichtum ersetzen kann. Mindest hätte es eine andere Natur erfordert als die Irma’s, um ihn als Ersatzmittel zu gebrauchen. Bald hing sie mit schwärmerischer Liebe an Margot: und ahnungslos.
    So ward hier die Einsamkeit durch Zweisamkeit oft noch verschärft. László, dessen Wandel während der ersten Zeit seiner Ehe ja in Budapest kein Geheimnis blieb, wurde von Irma Russow für einen böswilligen Narren gehalten und für den ständigen Beleidiger eines Götterbildes. Diesem selbst gegenüber wagte sie bald kein Wort mehr gegen ihn. Aber die Verteidigung László’s durch Margot hob ihr Idol fast in jene Höhe, wo der Geruch von Heiligkeit beginnt.
    Hier, im Hause der Russow also, nicht weit vom Vörösmarty Ter, erlernte Margot das Ungarische, und, das Elementare hinter sich, ward sie von Irma alsbald an die Dichtung der Nation herangeführt, welche allezeit der beste Lehrer jeder Sprache bleibt. Am einzelnen Dichtwerk erlernte sie die Intonation, erkannte sie die eben nur dem Ungarischen eigenen Valeurs, also das, was keine Übersetzung zu vermitteln vermag. Noch hatte damals Andreas Ady nicht zu wirken begonnen, aber der Turm Alexander Petöfi stand nun seit langem weithin sichtbar. Margot lernte einzelne Werke von ihm ungarisch sprechen, und immer wieder, bis der Klang frei wurde, und sich spielend bewegte.
    An diesem heutigen Abende nun, hier mit Gergelffi und László sitzend, löste sich das an irgendeiner anstreifenden Wendung oder Ecke des Gespräches aus ihr los, und sie kam mit dem Beginn eines langen Gedichtes von Petöfi frei heraus. Es heißt ,September-Ende‘, und ist von dem trefflichen Doctor Franz Bubenik in Wien, der Petöfi’s Werk schon um die Jahrhundertwende übersetzt hat, zuerst verdeutscht worden. Doch ziehen wir hier eine jüngste Übertragung vor, als dem heutigen Zustand unserer Sprache mehr entsprechend. Sie stammt von Fritz Diettrich und findet sich unter den Festgaben zum 80. Geburtstage Rudolf Alexander Schröders:
    Noch überstürzt sich Gartenblust im Tale,
Noch rauscht die Pappel grün in‘s offne Fenster.
Du aber siehst schon die Gespenster,
Das Winterliche, Leichenfahle.
Und Schnee trägt schon das hohe Felsenjoch!
Doch Sommer, Sommer ist es nochy
Nachstrahlend tief in meinem Herzen.
Noch schäumt der Lenz, der längst vergangene,
Und leuchtet mit Kastanienkerzen.
    Als sie diese Verse hinter der an sie gelehnten lila Lichtwand gesprochen hatte, neigte sich das Schwergewicht, das Übergewicht dieses Abends zu ihr. Der Ungar, auch wenn unliterarisch, kennt und liebt doch seine Dichter, sie sind ihm eine nationale Sache ersten Ranges; mindest war es damals noch so. Die stürmische Schwermut im Rhythmus jener Verse, deutsch kaum wiederzugeben, faßte in unsagbarer Weise das so widersprüchliche Beisammensein der drei jungen Menschen in eins. Man kann sagen, daß Gergelffi, bei all‘ seinen Vorbehalten, Margot erlag.
    D as hat ihn nicht gehindert, dort am Ligeti-fasor dem Stubenmädchen, einer reizenden blonden Marika, immer wieder seine Aufmerksamkeit zu schenken, nachdem es ihm schon beim Essen, als sie servierte, gelungen war, den ersten feinen Kontakt mit ihr zu kriegen.
    Gleich einmal dachte er, daß dieses Mädchen in kurzen Röcken und Stiefelchen entzückend aussehen müsse. Stiefelchen waren für Tibor überhaupt eine besondere Sache, sie gingen sozusagen in seinen zarteren Hinterzimmern vielfach um. Ein rechter Caligula. Wir werden das noch kennen lernen. Ungeschickt war er ja nie, und auch heute nicht. Zudem gab es die

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