Die Wasserfälle von Slunj
nicht eigentlich kühl und doch schien es so, durch blaue Glas-Scheiben, welche das Licht im Treppenhause dämpften. Unter einem halbkreisförmigen kleinen Gesims, darauf ,Portier‘ stand, wies sich ein blanker Messingknopf zum Klingeln.
Sogleich erschien Frau Wenidoppler, eine junge Person, die ihn gleichsam anschlich, erst spähend, aber dann brachte ein Lächeln ihr Katzengesicht richtig zum Vorschein. „Herr Direktor Chwostik. ..?“ sagte sie. Man mußte ihn ihr beschrieben haben.
Sie holte die Schlüssel und stieg vor ihm die Treppe hinauf. Chwostik hatte sich sozusagen noch nicht ganz aufgefangen, nachdem er dieses Haus wiedererkannt hatte, von seinen Morgenspaziergängen her im vorigen Sommer. Das bunte Licht im Stiegenhause erweckte den raschen Wunsch, durch eine der blauen Scheiben zu blicken und alles draußige so gefärbt zu sehen. Sie gingen nur eine Treppe hoch, dann rasselte die Wenidoppler mit dem Schlüsselbund. Während Chwostik einen Schritt weiter rückwärts vor der hohen weißlackierten Türe stand, bemerkte er, daß die Hausmeisterin einen kurzen schwarzen Rock trug (vielleicht war es nur ein Unterrock, der Wärme wegen) und daß ihre nackten Beine in Pantoffeln staken. Er registrierte das wider Willen, es stieß ihn nicht eben ab und es zog ihn auch nicht an. Nun angelte die Wohnungstür auf.
Eintretend hinter der Wenidoppler, hier in dem halbdunklen Vorzimmer – das weiß lackiert erschien im ganzen und eine eingebaute Holzwand zeigte, mit großem Spiegel und Kleiderhaken – als es ihn jetzt umfing und anhauchte: er hätte nicht mit dem geheimsten stammelnden halben Worte sich zu sagen vermocht, was das war, was ihn da angriff: nur dies: noch nie empfunden: Angezogen – und Abgestoßenwerden zugleich, Sehnsucht nach diesem hier, was ja ohnehin handhaft da war und sein werden sollte, und zugleich die augenblickliche Wendung zur Flucht, die sich in ihm erhob. Er war auch keines Wortes mächtig. Sie öffnete die Tür ins Wohnzimmer. Überall waren die grünen Rouleaux herabgelassen, die Fenster dicht geschlossen. Es schien die Wohnung vorher gründlich durchgelüftet worden zu sein, jetzt war die Luft fast frisch und rein, doch stehend und in sich abgeschlossen. Hier wohnte ein kühler Duft, mit einem feinen Stich in’s Säuerliche, wie beim Biß in einen Holzapfel, der den Mund zusammenzieht. Die Wenidoppler erklärte, zeigte, was an Mobiliar vorhanden und für ihn gegebenenfalls brauchbar wäre, auch, daß es Gasbeleuchtung gebe und die Frau Doctor sowohl die Beleuchtungskörper als auch einen Rechaud in der Küche zurückgelassen hatte, weil sie in Döbling draußen alles neu angeschafft habe. Und hier, sagte sie, indem sie das eine Rouleau ein wenig aufzog, sehe man zum Prater hinüber, weil gegenüber noch kein Haus stehe. Im Fenster lag ein rosa Seidenpapier. Es war nichts mehr darin eingepackt. Es lag leer. Zum ersten Mal hier erhob sich Chwostik aus zuwartend-säuerlicher Gesamthaltung („ich sinne“, hatte er zu Milo gesagt!) zu einer Art Pathos seines Lebens, was wir in keinem üblen Sinne meinen. Wir wollen Chwostik nicht verhöhnen. Die Hausmeisterin, welcher jenes liegen gebliebene rosa Papier im Fenster vielleicht unordentlich erschien, knüllte es zusammen und steckte es in die Schürzentasche. Chwostik empfand dabei fast etwas wie Schmerz. Seine sachliche Übersicht war zugleich perfekt, die Lage trug ihn wie ein flottes Fahrwasser, sie schien für ihn bereitgestellt worden zu sein, sie setzte sich jetzt gleichsam in Bewegung, unverzüglich, es war, als sei er in einen Zug gestiegen und der führe nun mit ihm ab. Die Wenidoppler zeigte ihm in der Küche einen praktischen weißen Schwenktisch, „aus der Ordination vom Herrn Doctor“. Chwostik befand sich längst jenseits eines etwa noch zu fassenden Entschlusses oder einer Wahl. Er handelte bereits wie jemand, der einen strikten Befehl ausführt, an welchem er in keiner Weise zweifelt. Daß hier alles schon bereit stand, wessen er für’s erste bedurfte, ward von ihm mit Vollzähligkeit erfaßt und erschien zugleich als selbstverständlich: ein leerer großer Kleiderschrank war im Dienstbotenzimmer geblieben und ebenso hatte Frau Doctor Bachler ein dorthin verbanntes Messingbett samt Nachtkastl mitzunehmen verschmäht. Monica’s einstmaliger Wickeltisch war da, zusammen mit zwei weißen Sesseln; im vorderen Zimmer gar ein wackeliger kleiner Damenschreibtisch. Chwostik war hier überhaupt schon angelangt. Er dachte
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