Die Wasserfälle von Slunj
dreißig bis vierzig gesammelten anderen Charakteren zusammenstoßen läßt. In wenigen Berufen wird ein Mensch derart fortgesetzt exponiert.
Als Doctor Petschenka hörte, um wen es sich handelte, ging seine Reserve offensichtlich in Erleichterung über. Jetzt aber schien er sich über Clayton’s Besuch zu verwundern. „Ja, Mr. Clayton“, sagte er, „da ist nicht viel zu bemerken. Ihr Neffe Augustus wird möglicherweise noch heuer Klassenerster oder ,Primus‘ werden, wie man zu sagen pflegt, denn ich höre von den Kollegen der anderen Fächer, daß dort die Leistungen ebenso gut sind wie in meinen Gegenständen. Die Hauptbegabung dürfte allerdings bei ihm mehr im Realen liegen, jedenfalls steht er in der Physik und Mathematik eindeutig auf ,vorzüglich‘, wie mir College Doctor Travniček gestern gesagt hat. Auffällig ist die stets außerordentlich gründliche Praeparation im Lateinischen und Griechischen, die er zeigt. Im ganzen gibt der Schüler allen Anlaß zur Zufriedenheit.“
Sieh da, den fetten Burschen! dachte Clayton.
„Es ist erstaunlich, wie er die deutsche Sprache beherrscht“, fügte Petschenka noch hinzu, „auch die Literaturkenntnisse sind gut, wie in der letzten Konferenz der germanistische College erwähnt hat. Außerdem, Mr. Clayton, zeigt Ihr Neffe noch eine andere bemerkenswerte Begabung.“
Der Professor lächelte. Es war ein eigentümliches Lächeln, das nur an der äußersten Oberfläche des Gesichtes geschah. Er hatte es sich abgerungen. Das war zu spüren. Im Lächeln waren seine oberen Schneidezähne sichtbar geworden.
„Und das wäre?“ fragte Clayton.
„Eine Begabung in der Wahl seines Umganges“, sagte Petschenka, und fast schwand sein Lächeln dahin und schien jetzt irgendein fühlbares Ressentiment nicht ganz bedecken zu können. „Sowohl in der Anstalt, während der Pausen, meine ich, wie neuestens auch auf der Straße, auf dem Schulwege, soviel ich beobachten konnte, sieht man Ihren Neffen nur mit den Spitzen der Klasse“ (dieser Ausdruck hatte schon ganz offenbaren ironischen Unterton) „ich meine mit den besten und aussichtsreichsten Schülern“ (auch dies nicht ohne Ironie). „Das Benehmen dieser jungen Leute entspricht dem künftiger akademischer Bürger.“
Diese studentische Charakteristik hätte die ordentlichen Mitglieder des M.C. maßlos geärgert, dem außerordentlichen Mitgliede aber wär’s vielleicht nicht ganz verständlich gewesen. Doch ist im Club nichts davon bekannt geworden. Denn Clayton hat Augustus gegenüber von seinem Besuch im Gymnasium keine Erwähnung getan. Nicht etwa absichtsvoll und aus irgendwelchen pädagogischen Gründen unterließ er’s: sondern, nachdem Robert Clayton sich einmal aufgerafft hatte, den Erkundungsgang in die Schule zu tun und seine Sorgen dort los geworden war, vergaß er’s glatt. Geschäftliches trat noch am gleichen Vormittage dazwischen, und hocherfreulich: Gollwitzer & Putnik in Bukarest bestellten fest nicht weniger als vierzehn genau spezifizierte Maschinensätze. Das war unter der heutigen Morgenpost gelegen. Donald hatte ihm gleich in der Tür des Comptoirs mit dem Brief in der Hand gewinkt, eben im Begriffe, damit in’s Werk und in’s Lager zu gehen. Der Absatz auf dem Balkan nahm ständig zu. An diesem Tage, beim Lunch in der Villa, beschlossen übrigens Robert und Donald, die Prämien des Ingenieurs Wosniak in Belgrad, der nach wie vor für sie erfolgreich tätig war, zu erhöhen.
Nachdem Clayton sich von Doctor Petschenka zeremoniös verabschiedet hatte, ging er über die Steinfliesen des breiten Corridors zur Treppe und sah, deren Ausmündung genau gegenüber, unter Glas und Rahmen eine große Tafel hängen, die eine Liste sämtlicher Professoren der Anstalt, ihrer Fächer und der Klassen zeigte, in welchen sie unterrichteten. Er blieb davor stehen und hatte bald die Lehrkräfte der VII. Klasse a beisammen. Nun gut. Hier hätte er sich früher orientieren können. Der Direktor des Gymnasiums stand obenan. Er war sogar Regierungsrat. Die ganze Tafel zeigte eine höchste Sorgfalt der Ausführung, mit der Rundfeder geschrieben und mit roten Initialen.
Aus den nahegelegenen Klassenzimmern hallten Stimmen gedämpft in die Stille.
Irgendwo saß da auch der dicke Augustus.
Nun, das Erfahrene genügte für den Brief nach Canada.
Clayton stieg die Treppen hinab. Die verglasten Klapptüren unten schwangen hinter ihm aus. Er sah einen Augenblick zur Decke der Vorhalle hinauf und bemerkte die in
Weitere Kostenlose Bücher