Die Wasserfälle von Slunj
die Schweigsamkeit sehr leicht, weil sie ja, genau genommen, garnichts anderes können. Nur auf der allerobersten Stufe des Schweigens sitzt der Tiefsinn; unten aber die Wurstigkeit.
Folgte das Auftreten von Feschak und Frau. Er ging voraus(!) rasch durch die Zimmer und begrüßte die jungen Menschen, als ob er zu ihnen gehören würde. Das Weiß seiner sehr dichten Haare war übermäßig leuchtend und rein, fast wie ein Kaninchenpelz. Vielleicht kam es noch mehr zur Wirkung dadurch, daß Doctor Bachler zum dunklen Anzug eine lila Weste trug. Er sah aus wie die Morgenstunde selbst, und wirklich tat er ja seinen Patienten das Gold sachgemäß in den Mund, das er ihnen dann verzehnfacht aus den Taschen nahm. Wo war heute die Mitgift Rita’s! Ein Geldbeutelchen, unter einem Berg von Geld verschwunden. Der Doctor Bachler war der rechte Held für Kellner und Fiaker. Einer, den man überall kennt! Schon unserer Wenidoppler gegenüber (noch immer war sie Hausmeisterin in der Weißgerberstraße, nur älter geworden und daher erheblich ordinärer) hat er, wie wir wissen, stets eine offene Hand gehabt. Seit neuestem widmete sich Doctor Bachler auch dem Wintersport (wie man ihn damals verstand). Er hatte auf dem Semmering einen Skikurs gemacht.
Hinter ihm kam Rita. Sie war sein unartiges Vorauslaufen bei allen Gelegenheiten gewohnt, und säuerte also hinten nach.
Im übrigen blieben die Alten nicht lange. Sie waren nur erschienen, um Monica’s Gäste zu begrüßen; und danach zogen sie sich wieder zurück: Frau Rita in ihre Gemächer; der fesche Doctor aber, jetzt im Pelz und mit steifem dunklen Hut, brachte den Wagen aus der Garage und fuhr in die Stadt. Er fuhr immer in die Stadt und war kaum jemals abends daheim. Es ist hier anzumerken, daß ein Herr am Steuer damals nicht eben häufig war. Im allgemeinen hielten nur solche Leute einen Wagen, die sich bereit fanden, auch einen Chauffeur zu bezahlen.
Es ist nicht zu leugnen, daß Donald hier schon einiges hätte sehen und beobachten können: die Alten etwa, besonders ihn; daß zum Beispiel zwischen Doctor Bachler und seiner Tochter auch nicht die geringste Ähnlichkeit zu finden war. Ferner Monica‘s Freunde, die aus zwei miteinander unvermischbaren Arten zu bestehen schienen, von denen etwa Radinger & Martinek die eine, ihm bekannte und vertraute darstellten, der wieder jene Gollwitzerische Filial-Fauna gegenüberstand. Es wäre für’s erste anzunehmen, daß Donald gut beobachten und vieles wahrnehmen hätte können, weil er ja unbeteiligt und schweigsam blieb und sich nicht rührte. Aber Gleichgültigkeit bedeutet noch nicht Objektivität, und ein bisserl muß man sich schon unter die Leut’ bringen, wenn man was sehen will. Die Wahrnehmung wird nicht so vollzogen, daß einfach in jemand was hineingeschüttet wird, wie wenn einer im Wirtshaus ein Seidl Bier trinkt. (Hohlköpfe sind, entgegen dem Wortsinne, nicht geeignet, um was hinein zu tun). Die Wahrnehmung ist eine doppelseitige Arbeit: die eine Hälfte müssen wir selbst leisten, und nur die andere leistet die Welt. Donald blieb ganz passiv. Und so nahm er nichts wahr als Monica. Das wird man nicht als Leistung im erwähnten Sinne bezeichnen können.
Sie setzte sich übrigens mit ihm in eine Ecke und erzählte, daß ihr alter Onkel, der Doctor Eptinger, ihr wahrscheinlich in Hietzing eine Wohnung verschaffen könne. Sie werde morgen am späteren Nachmittag bei ihm sein. Wann Donald aus dem Bureau gehe? Man könnte sich dort in seiner Gegend treffen? Ob er das ,Café Zartl‘ kenne? Nun gut, das liege ja an seinem Heimwege, nicht?
S o wurde es denn das ,Café Zartl‘, wo Chwostik vor Zeiten erfahren hatte, daß Leda die Tochter des Thestios, Königs von Ätolien, gewesen sei, und Gemahlin des Spartanerkönigs Tyndareos; und auch das Skandalöse: „sie genoß die Gunst des Zeus.“ Es gibt kaum was Dezenteres als ein deutsches Konversations-Lexikon. Höchstens die Frau Rita Bachler.
Er konnte sie, die Monica, nicht sehen, und was konnte er überhaupt schon sehen? Er war ja nie unter die Leute gekommen. Dafür wuchs ihm jetzt ein einzelner Leut sozusagen beim Fenster herein wie ein plötzlich krumm und toll gewordener Baum aus dem Garten, das ganze Zimmer erfüllend. Aber Monica, sie sah ihn, von weitem schon, vom Fenster des Café’s aus. Sie war vor ihm da, wie denn anders: rechtzeitig von Onkel und Tante abgeschwommen; Donald freilich mußte ja im Büro erst fertig werden. Sie dachte es und rechnete mit
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