Die Wassermuehle
zurück und hielt schließlich auf dem Parkplatz eines Baumarkts an. Sie schaltete Motor und Licht aus.
„Früher haben wir das öfter gemacht“, sagte Klaus. „Uns nachts zusammen auf die Lauer gelegt, die Uniform mit Zivilklamotten getauscht, ein bisschen außer der Reihe observiert. Wenn’s sein musste, haben wir sogar eigenmächtig Extraschichten eingelegt. Wir hatten so manchen schönen Erfolg, und die Arbeit hat richtig Spaß gemacht.“
„Macht sie das jetzt nicht mehr?“
Er zuckte mit den Schultern. „Heutzutage musst du doch für alles einen schriftlichen Einsatzbefehl haben. Und bis wir die ganzen wichtigen Konzepte umgesetzt haben, die sich die Teppichbodenetage ausdenkt, ist der Tag ohnehin fast rum. Präventivstreifen zur Beruhigung der Bürger, irgendwelche Aktionstage zur Volksbelustigung, Fußstreifen, Sicherheitsstreifen: Zeigen Sie Präsenz! Achten Sie auf Ihr Erscheinungsbild! Präsentieren Sie sich den Bürgerinnen und Bürgern als kompetente Dienstleister! Effektivität? Praxistauglichkeit? Nicht doch. Hauptsache, die Statistik stimmt und unsere Herrschaften da oben können einmal im Jahr dem Wahlvolk medienwirksam verkünden, was die Polizei Unverzichtbares für die Innere Sicherheit tut.“
Dagmar lächelte. „Du bist ein Lästermaul.“
„Früher gab es in jeder Schicht ein paar alte Hasen, die nicht nur sämtliche Ecken, sondern auch die Pappenheimer in ihrem Revier kannten; Kollegen wie Uli, die uns Jungen das Laufen beibrachten. Und heute? Da fährt der Fünfundzwanzigjährige mit dem Vierundzwanzigjährigen Streife, und beide hoffen, dass ja nichts Unvorhergesehenes passiert. Ständig bekommen sie erzählt, dass sie diese und jene Vorschrift zu beachten, dies und das zu tun haben. Die Folge ist, dass sich keiner mehr traut, selbstständig zu entscheiden oder zu handeln: Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.“
„Siehst du das nicht ein bisschen zu schwarz?“
„Wie heißt es so schön? Theorie ist, wenn man alles weiß und nichts funktioniert. Praxis ist, wenn alles funktioniert, und keiner weiß, warum. Ich finde, es ist ein Fehler, unseren Beruf allzusehr zu akademisieren.“
„Bildung hat noch keinem geschadet.“
„Darum geht es nicht. Ich habe bestimmt nichts gegen eine Aufwertung der Polizeiarbeit, aber wir sind weder Manager noch Juristen, die sich tage- und wochenlang Zeit lassen können, das Für und Wider einer Handlung oder Entscheidung abzuwägen. Davon abgesehen, schert sich unsere Klientel in der Mehrzahl nicht die Bohne um den gesellschaftlich erwünschten Verhaltenskodex. Andererseits macht genau das unsere Arbeit interessant.“ Er grinste. „Um auf meinen Eingangssatz zurückzukommen: Die Praxis-Variante ist mir zugegebenermaßen sympathischer. Deshalb bin ich ja auch Polizist und nicht Jurist geworden.“
„Mir traust du allenfalls die Theorie-Variante zu, nicht wahr?“
„Ich kenne wenige Weltverbesserer, die in der Lage sind, einen Nagel richtig einzuschlagen.“
„Ach ja?“
„Stand heute in der Zeitung: Guten Morgen, Offenbach. Spruch zum Tage. Papier ist geduldig, Menschen sind es nicht. Und jetzt hör auf, wie eine beleidigte Leberwurst dreinzuschauen und jedes Wort persönlich zu nehmen.“
„Tu ich gar nicht.“
„Es kommt nicht darauf an, was ich dir zutraue, sondern was du dir selbst zutraust.“
„Also ...“
„Psst! Hast du das gehört?“
Dagmar schaltete den Funk leise und ließ das Fenster herunter. „Kommt aus Richtung Baumarkt“, flüsterte sie. „Lass uns nachschauen.“
Sie hatten gerade den Streifenwagen verlassen, als sie das Splittern von Glas hörten. Eine Alarmanlage schrillte los, dann heulte ein Motor auf. Sie sprangen in den Wagen zurück, und Dagmar fuhr quer über den Parkplatz. Zwei dunkle Gestalten rannten von einem Seiteneingang des Baumarkts zu einem silbergrauen 5er BMW mit Hanauer Kennzeichen, der mit quietschenden Reifen davonschoss.
„Innenstadt oder A 661“, sagte Klaus. „Ich tippe auf Autobahn.“ Dagmar schaltete Blaulicht und Martinshorn ein, Klaus gab den Sachverhalt, das Kennzeichen und die mutmaßliche Fluchtrichtung der Einbrecher über Funk durch. Der silberne BMW raste durch den Kaiserleikreisel, an der Autobahnauffahrt vorbei in Richtung Stadtmitte und überfuhr zwei Kreuzungen bei Rotlicht. Dagmar blieb dran.
„Wenn wir Rot haben, solltest du vorsichtig in die Kreuzung fahren“, sagte Klaus ruhig. „Es sind immer irgendwo ein paar Taube und Blinde
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