Die Wassermuehle
nicht, Herr Bernsdorf.“
„Womöglich könnte ich das Doppelte herausholen.“
Hedi hatte Mühe, eine unbeteiligte Miene zu machen. „Solange Sie die Sache nicht in trockenen Tüchern haben, verlange ich Stillschweigen, Herr Bernsdorf. Sollte Ihr Kunde ernsthaft interessiert sein, werde ich versuchen, mit Vivienne zu reden.“
Er lächelte. „Sie dürfen mich gern Wolfgang nennen. Im Übrigen haben Sie meine Frage noch nicht beantwortet.“
„Welche Frage, bitte?“
„Ob Sie heute Abend Zeit haben. Ich lade Sie zum Essen ein.“
„Wenn Sie mir vorher auch eine Frage beantworten?“
„Sicher doch.“
„Wie lange ist Ihre Mutter schon tot, Wolfgang?“
„Äh ... drei Jahre. Ist Ihnen neunzehn Uhr recht? Bis dahin werde ich versuchen, meinen Kunden zu erreichen.“
„Ja, in Ordnung. Warten Sie einen Moment.“ Sie ging in ihre Werkstatt, wickelte die Obstschale in eine alte Zeitung ein und drückte sie ihm in die Hand. „Eine kleine Erinnerung an die diebische Müllerszunft.“
„Wieviel bin ich Ihnen schuldig?“
„Also, bitte! Habe ich Sie etwa gefragt, was Ihre Einladung zum Essen kosten wird?“
K APITEL 28
D agmar saß im Vernehmungszimmer und las in einer Broschüre, als Klaus zum Dienst kam. „Guten Abend, Kollegin“, begrüßte er sie. „Schon wieder fleißig?“
Sie sah von ihrer Lektüre auf. „Na? Ausgeschlafen?“
Klaus ging zum Computer, holte die Eingabemaske für Einwohnermeldeamtsanfragen auf den Bildschirm und gab v on Eschenbach, Antoinette ein.
„He! Ich hab dich was gefragt!“
„Tatsächlich. Keine Anschrift in Frankfurt.“
„Was machst du da?“
„Eine EMA-Überprüfung. Und du?“ Klaus versuchte, den Titel der Broschüre zu entziffern.
„Lagebild Innere Sicherheit in Europa“, sagte Dagmar. „Hat mir ein Kollege von der C-Schicht gegeben. Wirklich interessant.“
„Ach ja? Zeig her.“ Dagmar gab ihm das Heft. Klaus schlug das Inhaltsverzeichnis auf. „ Bürgernahe Polizeiarbeit in Northumbria. Neue Steuerungsmodelle für die Polizei. Activity Based Management. Der Vorgesetzte als Qualitätsmanager. Mhm. Hast du das schon unserem Chef gezeigt?“
„Warum?“
„Jochen Kissel, Qualitätsmanager des Vierten Polizeireviers der Stadt Offenbach. Klingt gut, oder? Wo liegt eigentlich Northumbria?“
„Warum musst du immer alles ins Lächerliche ziehen?“
„Tu ich das?“ Klaus blätterte weiter. „Rigorose Kundenorientierung. Die Leistung steigern mit dem EFQM-Modell. Was, bitte, soll das sein: EFQM? Energische Förderung Quotierter Muffengänger?“
„European Foundation for Quality Management“, sagte Dagmar. „Mit Sitz in Brüssel. Dort hat man ein System für umfassendes Qualitätsmanagement entwickelt, das sich auch auf die Polizei übertragen lässt. Insbesondere, was die Steigerung der Kundenzufriedenheit angeht.“
„Wirklich großartig, ja.“
„Hör auf, mich auf den Arm zu nehmen!“
„Wenn die Figur, die wir heute Morgen in Dieters Büro verfrachtet haben, eines Tages anfängt, unsere Arbeit zu lobpreisen, kündige ich auf der Stelle.“
„Die Masse unserer Kunden sind Normalbürger.“
„Ah ja. Und was sollen wir mit denen machen?“ Er zitierte: „ Die Mitarbeiter der Basis-Organisationseinheiten erbringen Leistungsergebnisse, die zu Produkten aggregiert werden, für die sie die Verantwortung tragen. Sie werden als Produktverantwortliche bezeichnet. Steuerung und Führung müssen daher darauf ausgerichtet werden, dass die Produktverantwortlichen die Produkte für die Bürger/Kunden in der erwünschten Qualität und Menge erbringen können. Himmel, hilf!“
Er klappte die Broschüre zu und gab sie Dagmar zurück. „Früher sagte man: Schalt deinen Grips ein, Junge. Oder: Sei höflich zu den Leuten. Heute braucht man ein Kilo Papier, um Selbstverständlichkeiten so aufzuschreiben, dass sie ja kein Mensch mehr kapiert. Das Einzige, was bei diesen ganzen Leitbildinternalisierungstalkshows, Zielvereinbarungsfindungsworkshops und den High Quality Managements for Reorganizations stört, ist der Bürger, oder?“
„Du kannst ja Englisch.“
„Hat mir meine Tochter beigebracht. Im Ernst: Mir geht dieses Neudeutschgelaber auf die Nerven. Ich will meine Arbeit machen. Sonst nichts.“
Dagmar ließ die Broschüre in einer Schublade verschwinden. „Man sollte sich über Zeitgeistströmungen informieren. Auch wenn man sie nicht teilt.“
„Auf der letztjährigen Personalversammlung haben ein halbes Dutzend Kollegen
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