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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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versuchte, sich unbemerkt davonzuschleichen.
    „Hast du sie dem Vieh etwa ins Futter gemischt? Ich werde dir den Hintern versohlen!“ Vivienne stand auf und lief hinter Christoph-Sebastian her; kurz vor der Tür sprang ihr der erschreckte Tim vor die Füße, und sie schlug der Länge nach hin.
    Der Kater verschwand mit einem kläglichen Miau unterm Sofa. Vivienne hielt sich weinend ihren rechten Arm. „Meine Hand! Bestimmt ist was gebrochen! Ich muss sofort zum Arzt!“
    Hedi half ihr beim Aufstehen. „Warum setzt du eigentlich keine Brille auf, wenn du nichts siehst?“
    „Ich komme um vor Schmerzen!“
    „Lass mich mal schauen. Ich könnte ...“
    „Du bist kein Arzt, oder?“
    „Im Krankenhaus habe ich ...“
    „Ich brauche kein Heftpflaster, sondern die Meinung eines Fachexperten!“, fiel Vivienne ihr ins Wort.
    Hedi seufzte. Sie bat Dominique, auf Christoph-Sebastian achtzugeben und die Kartoffeln rechtzeitig vom Herd zu nehmen. Dann drehte sie den Regler des Backofens zurück, suchte den Autoschlüssel und ging nach draußen. Vivienne folgte schluchzend. „Ich kann nicht mehr arbeiten! Ausgerechnet jetzt, wo Bernard eine Ausstellung für mich organisieren will.“
    „Wer ist Bernard?“
    Vivienne wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Und wenn die Hand am Ende steif bleibt? Mein ganzes Leben wäre ruiniert!“
    Der Bus sprang beim zweiten Versuch an; aus dem Auspuff kam eine schwarze Wolke. Hedi versuchte vergeblich, den Rückwärtsgang einzulegen.
    „Warum fahren wir nicht mit meinem Auto?“, fragte Vivienne.
    „Weil die Leute immer ihre Post reinwerfen, sobald ich irgendwo anhalte!“, sagte Hedi gereizt. Vivienne setzte eine beleidigte Miene auf und schwieg.
    Der Dorfarzt von Hassbach diagnostizierte eine leichte Prellung, verband die Hand und verordnete sechs Tage Schonung. „Bernard wird entsetzt sein“, sagte Vivienne auf dem Rückweg.
    Hedi stellte den Innenspiegel ein. „Warum? Hast du keinen Champagner mehr im Haus?“
    „Das ist wirklich ein ausgesucht witziger Witz, Frau Winterfeldt.“
    „Ich habe mir auch ausgesuchte Mühe gegeben, die Pointe richtig zu setzen, Frau Belrot.“ Hedi versuchte, vom dritten in den vierten Gang zu schalten. Das Getriebe kreischte. „Du solltest dir schleunigst eine Brille zulegen, bevor du dir noch den Hals brichst.“
    „Hätte dieses grässliche Kind seine widerlichen Pfoten von meinen Sachen gelassen, wäre das alles nicht passiert. Im Übrigen machen Brillen alt und hässlich.“
    Hedi fuhr im dritten Gang weiter. „Du bist kein Teenager mehr. Wann wirst du das endlich begreifen?“
    „Man ist so alt, wie man sich fühlt. Bernard sagt, ich sehe aus wie Ende zwanzig. Höchstens.“
    „Der sollte sich auch eine Brille zulegen.“
    Vivienne begann zu weinen. „Du bist abscheulich!“
    Hedi manövrierte den Bus an einem Schlagloch vorbei. „Dass du aufgehört hast, deinen Geburtstag zu feiern, heißt nicht, dass er nicht mehr stattfindet.“
    „Du verstehst nichts! Du hast ...“
    „... nicht die geringste Ahnung, was wichtig ist auf dieser Welt. Ich weiß.“ Hedi querte die Brücke und fuhr in den Hof. Schweigend stiegen sie aus und gingen ins Haus. Im ersten Stock sangen Mönche.
    Hedi hängte den Autoschlüssel ans Schlüsselbrett. Vivienne sah die Post durch.
    „Erwartest du etwas Bestimmtes?“, fragte Hedi.
    Vivienne steckte einen Brief ein und legte den Rest zurück. „Von Bernard. Ich bin auf meinem Zimmer.“
    „In zehn Minuten gibt’s Essen.“
    Der Inhalt des Römertopfs duftete verführerisch, die Kartoffeln waren zu angebranntem Mus zerkocht. Hedi warf die Pampe wütend in den Müll und begann, die schlaffen Salatblätter zu putzen.
    „Ich hab Hunger“, nörgelte Christoph-Sebastian.
    „Du bist ja wohl alles andere als schuldlos daran, dass es mit dem Mittagessen heute so lange dauert.“
    „Ich hab trotzdem Hunger!“
    Hedi sah ihn strafend an. „Kann es sein, dass du hier irgendwo eine tote Ratte versteckt hast?“
    Christoph-Sebastian grinste. „Nö. Warum?“
    Hatte sie ernsthaft eine andere Antwort erwartet? Hedi stellte die Salatschüssel beiseite und holte ein Brot aus der Gefriertruhe. Als sie die Klappe der Mikrowelle öffnete, wich sie entsetzt zurück. Auf einem Kuchenteller lag ein aufgedunsenes, von grünlichem Schimmelrasen bedecktes Etwas, das in seinem vorherigen Leben vermutlich ein Bratwürstchen gewesen war. Hedi rannte zur Treppe. „Dominique!“
    Nach dem dritten Ruf trat Ruhe ein.

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