Die Wassermuehle
geringste Lust, darüber zu reden!“
„Als ich dir von Hedi erzählte, sagtest du, dass sie dir sympathisch ist. Dabei hat sie das Gleiche getan wie deine Mutter.“
„Machst du neuerdings auf Seelenklempner, oder was?“
„Bei anderen findest du das in Ordnung.“
„Okay. Ich hatte kein Recht, dir Vorschriften zu machen. Zufrieden?“
„Schade. Wo ich gerade meinen Getränkeetat um die Hälfte gekürzt habe.“
Wider Willen musste Dagmar lächeln.
„Außerdem habe ich beschlossen, ein bisschen was für meine Kondition zu tun. Was dagegen, wenn ich dich vor unserem nächsten Spätdienst in den Wald begleite?“
* * *
Sie trafen sich am Donnerstag um halb eins am Polizeipräsidium. Es war drückend schwül. Dagmar hatte rote Shorts und ein gelbes T-Shirt an. Klaus fand, dass sie hinreißend aussah, aber er verkniff sich einen Kommentar.
„Wohin geht’s eigentlich?“, fragte er, nachdem sie ihre Sporttaschen in die Umkleideräume gebracht hatten.
„Helene-Mayer-Straße. An den Kleingärten vorbei.“
Klaus grinste. „Sie sehen wie Offenbach aus, sind von Offenbach aus zu erreichen und gehören trotzdem den Frankfurtern.“
„Das wusste ich ja gar nicht!“
„Das wissen nicht mal alle Offenbacher.“
Sie überquerten eine Fußgängerampel. „Ich finde die Strecke zum Laufen sehr schön“, sagte Dagmar. „Durch den Wald, über die Autobahn, zur Neuwiesenschneise und dann ...“
„... zum Maunzenweiher.“
Sie sah ihn überrascht an. „Hast du eine heimliche Proberunde gedreht?“
„Ich lebe schon ein paar Jährchen in dieser Stadt.“
„Hans-Jürgen wusste nicht mal, wo die Helene-Mayer-Straße ist.“
„Ist ja auch nicht unser Dienstbezirk.“
„Ich bitte dich! Er ist hier geboren. Behauptet er jedenfalls.“
Sie gingen unter einer Eisenbahnbrücke hindurch; an der Tennisanlage dahinter begann Dagmar zu traben. Klaus schloss zu ihr auf. „Helene Mayer war übrigens Olympiasiegerin im Florettfechten. Wenn ich mich richtig erinnere, 1928 in Amsterdam.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so gebildet bist“, entgegnete Dagmar schmunzelnd.
„Ein Relikt vom Lustigen Offenbacher Steineraten. Hedi und ich haben uns früher darin übertroffen, die tiefere Bedeutung von Offenbachs Straßen, Plätzen, Häusern und Grabsteinen herauszufinden. Ich hatte eine Jahreskarte fürs Stadtmuseum, eine Standleitung ins Stadtarchiv und bin vom Leiter der Stadtbücherei dabei erwischt worden, wie ich eins seiner kostbaren Nachschlagewerke vorsätzlich ins falsche Regal einsortierte, um mir einen kleinen Wissensvorsprung zu verschaffen.“
Dagmar lachte. „Wie seid ihr denn auf diese ulkige Idee gekommen?“
„Irgendwann beim Spazierengehen. Das Pfauenhaus war schuld.“
„Welches Pfauenhaus?“
„In der Luisenstraße. Ich zeig’s dir bei Gelegenheit mal.“
An den Kleingärten vorbei liefen sie in den Wald. „Zuletzt haben wir uns darum gestritten, ob eine Steinskulptur lächeln kann. Hedi behauptete, ja.“
„Und du?“
„Es war eindeutig die ernsteste Steinskulptur in ganz Offenbach.“
Sie durchquerten eine graffitibesprühte Unterführung; danach ging es leicht bergan. Klaus bekam Seitenstechen. Als sie die Autobahnbrücke erreichten, war sein T-Shirt durchgeschwitzt. „Ganz schön heiß heute“, sagte er keuchend.
„Bin ich dir zu schnell?“, fragte Dagmar.
„Ach was.“
Die Neuwiesenschneise war ein langer, schnurgerader Waldweg, und Klaus hatte das Gefühl, sie würde mit jedem seiner Schritte länger. Dagmar drosselte das Tempo und trabte plaudernd neben ihm her. Klaus sagte ab und zu Mhm und versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren.
„Wir können es gern noch etwas langsamer angehen lassen“, schlug Dagmar vor.
Klaus schüttelte den Kopf. Verbissen lief er weiter und atmete auf, als er zwischen den Bäumen endlich den Maunzenweiher sah.
„Normalerweise drehe ich zwei Runden um den See und laufe dann zurück“, sagte Dagmar. „Aber ich glaube, bei der Hitze reicht eine, oder?“
Klaus ließ ein Japsen hören und blieb stehen. „Mach du mal. Ich warte hier.“
Sie knuffte ihn in die Seite. „Mensch, warum sagst du denn nichts, wenn’s dir zuviel wird?“
„Ich will lediglich ein bisschen in Ruhe die Natur genießen.“
„Bis gleich“, sagte sie lachend und lief weiter.
Klaus ging zu einer Bank am Ufer und setzte sich. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und rieb seine Waden. Sie waren hart wie Steine. Im Wasser des Sees
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