Die Wassermuehle
spiegelten sich der Himmel und das Grün der Bäume. Er schaute zu den beiden Inselchen hinüber. Die Birken auf der kleineren waren gewachsen, die Fichten auf der größeren sahen aus wie damals.
Hedi hatte ihre Krankenhauskluft an und war völlig aufgelöst. „Um Gottes willen, Klaus! Ist etwas mit den Kindern?“
„Alles in Ordnung, Schatz.“
„Aber Brigitte hat gesagt, ich soll sofort nach Hause kommen!“
„Klar. Du hast ja auch Feierabend.“
„Spinnst du? Ich habe gerade vor zwei Stunden angefangen!“
Er nahm sie in seine Arme und küsste sie. „Der Tag ist zu schön zum Arbeiten, findest du nicht? Ich kenne da zufällig einen netten kleinen See, mitten im Wald ...“
Sie sah ihn argwöhnisch an. „Was hast du wieder ausgeheckt?“
„Ausgeheckt? Ich? Nichts. Bist du schon mal Tandem gefahren?“
Klaus lächelte. Zeit hatten sie eigentlich nie gehabt. Entweder waren die Kinder krank, oder er musste Sonderschichten schieben oder Hedi für ihre Prüfung lernen. Und doch gab es diese herrlichen, unbeschwerten Stunden, in denen sie zusammen gelacht und lauter Blödsinn angestellt hatten. Wann hatten sie damit aufgehört? Er wusste es nicht.
„Puh, ist das heiß heute.“
Klaus fuhr erschrocken zusammen, als Dagmar sich neben ihn auf die Bank fallen ließ.
„Hast du geträumt?“
„Mhm.“
Sie zeigte auf den Weiher. „Hattet ihr den auch in euer Rateprogramm aufgenommen?“
Wie aus dem Nichts waren sie plötzlich dagewesen. Dabei war der Krach gar nicht zu überhören. „Also, jetzt wollen wir mal sehen, was an einem Teich alles wächst, Kinder.“
„Ja, Frau Blum!“
„Frau Blum, da liegen ja Kleider auf der Bank! Und Schuhe und Strümpfe! Und ein Korb steht auch da, mit lauter Essen drin. Und ein doppeltgemoppeltes Fahrrad.“
Dagmar stupste Klaus an. „He! Hörst du mir überhaupt zu?“
„Was?“
Sie lachte. „Du schaust aus, als wärst du gerade aus einer Hypnose erwacht.“
„Ich dachte an eine kleine Radtour.“
„Reicht dir das Joggen etwa nicht?“
„Ich frage mich, warum man sich über manche Dinge erst dann den Kopf zerbricht, wenn’s zu spät ist.“
„Zum Beispiel?“
Er stand auf. „Wir müssen zurück.“
„Lass uns ein bisschen gehen“, sagte sie, als er Anstalten machte, loszulaufen.
„Warum? Ich bin fit!“
„Du bist ja auch nicht um den Weiher gerannt.“
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. „Darf ich dich etwas fragen?“, sagte Dagmar, als sie die Neuwiesenschneise erreichten.
Klaus nickte.
„Wie hast du es damals deiner Frau beigebracht, dass ihre Mutter, nun ja, umgekommen ist?“
„Musste ich nicht. Hedi selbst hat sie gefunden. Und ein Nachbar hat die Polizei gerufen.“
Sie warf ihm einen unsicheren Blick zu. „Das war bestimmt das schlimmste Erlebnis, das du je in deinem Dienst hattest, oder?“
„Das, und als ich Willi sein Haus weggenommen habe.“
„Wer ist denn Willi?“
„Ein abgerissener, versoffener Pennbruder, der Uli ab und zu ein paar Tipps über die Offenbacher Unterwelt gegeben hat. Objektiv gesehen.“
„Und subjektiv gesehen?“
„Frau und Kind bei einem Busunglück verloren, arbeitslos geworden und in der Gosse gelandet. Er wohnte in einer aus Sperrmüll zusammengezimmerten Hütte im Kaiserleigebiet. Mit Kerzen, Bollerofen und Pappe vor den Fenstern, inmitten von Brombeerranken und Sonnenblumen. Der Räumungsbeschluss kam drei Wochen vor Weihnachten. Vorrangig ging es uns um eine polnisch-tschechische Diebesbande, die einige der dort stehenden Bretterbuden als Lager für Hehlerware nutzte. Die Vögel waren allerdings rechtzeitig zur kalten Jahreszeit ausgeflogen. Wir haben gefroren wie die Schneider und mussten uns von den illegalen Hüttenbewohnern übel beschimpfen lassen. Nur Willi stand stumm dabei. Schließlich kam er zu mir und zeigte auf seinen armseligen Verschlag. Mein Zuhause, Herr Winterfeldt. Alles, was mir geblieben ist.“
„Was ist aus ihm geworden?“
„Er bekam ein sauberes, warmes Zimmer im Männerwohnheim und war einen Tag später verschwunden. Wahrscheinlich hat er sich nach Frankfurt verkrümelt. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Warum schaust du mich so an?“
„Du bist nicht halb so cool, wie du immer tust, stimmt’s?“
„Ach was!“, sagte er und lief los.
K APITEL 37
„D raußen sitzt Kundschaft für dich“, sagte Michael, als Dagmar nach dem Laufen zum Dienst kam. „Sei so nett und kümmere dich um sie, bevor die Alte uns das ganze Revier in
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