Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
Vom Netzwerk:
Sitzmöbel. Draußen standen zwei Jugendliche auf Inlinern und feixten. Hedi kam sich vor, als hätte sie in einem Schaufenster Platz genommen.
    „Das Gleiche wie immer, Frau Belrot?“, fragte János.
    „Nein. Heute nur einen Espresso.“
    „Auch einen Espresso“, sagte Hedi, obwohl sie lieber einen Milchkaffee getrunken hätte.
    „Zwei Espressi. Sofort!“ János verschwand lächelnd.
    „Selbstgestrickt?“, fragte Vivienne mit Blick auf Hedis Pullover.
    „Nein. Das Hobby meiner Tante.“
    „Hübsch.“
    „Lügen konntest du schon immer gut.“
    „Und du warst für rigorose Ehrlichkeit bekannt. Nett hier, oder?“
    „Es hat was von einem desinfizierten Schlachthaus.“
    Vivienne lachte. „Habe ich es nicht gesagt?“ Sie deutete dezent auf János, der hinter der Theke am Espressoautomaten hantierte. „Wie findest du ihn?“
    „Ich mag diese geschniegelten Typen nicht.“
    „Im Bett ist er klasse.“
    Hedi sah sie fassungslos an. „Willst du damit sagen, dass du ...?“
    „Einmal ist keinmal. Im Übrigen bin ich unverheiratet.“
    „Aber er ist mindestens fünfzehn Jahre jünger als du!“
    „Na und?“
    Hedi fand es angebracht, das Thema zu wechseln. „Was hast du nach der Schule gemacht? Studiert?“ Sie sah Viviennes Gesicht an, dass sie sich amüsierte, und hasste sich dafür, dass sie überhaupt in die S-Bahn gestiegen war.
    „Ich habe nach dem Sinn meines Lebens gesucht.“
    „Und? Hast du ihn gefunden?“
    János brachte den Espresso. „Noch einen Wunsch, die Damen?“
    Sie schüttelten den Kopf. Vivienne nippte an ihrem Tässchen. „Du weißt, dass meine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen?“
    „Liebe Zeit! Nein.“
    „Ein Jahr nach dem Abitur. Es warf mich ziemlich aus der Bahn. Ich brach mein Studium ab, zog ziellos von einer Stadt zur nächsten und lebte fünf Jahre in Südfrankreich.“
    „Das tut mir leid.“
    „Ich bin darüber hinweg. Im Nachhinein hatte es sogar etwas Gutes. In Frankreich entdeckte ich meine Liebe zur Malerei: die bunten Märkte und die Lavendelfelder der Provence, die roten Felsen von Le Dramont, Horizonte aus Himmel und Meer. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Intensität und Reinheit Farben unter der südlichen Sonne haben.“
    „Doch. Früher haben wir jeden Sommer an der Côte d’Azur gezeltet. Das Meer war tatsächlich postkartenblau.“
    Vivienne lächelte. „Ich meinte das eher im Sinne von Kandinsky: Die Farbe ist eine Kraft, die die Seele beeinflusst. Oder, um es frei nach Clemenceau zu sagen: Sie ist glückerfülltes Beben, in dem unser verzweifeltes Auge durch die Magie des Malers den Schock des Universums erfährt; eine Welt, die nicht in Worte zu fassen ist, erhabenes Feuer des Sonnentriumphes, das uns in den Strudel irisierender Transparenz und flüssiger Helligkeit zieht, in dem Beherrschung und Unterwerfung das ewige Textbuch füllen. Ekstase der Welt, ein Konzert für die Augen in den Akkorden einer universellen Symphonie!“
    „Ich nehme nicht an, dass du davon ausgehst, dass ich das jetzt verstanden habe.“
    Vivienne lachte. „Ich bewarb mich bei einer der renommiertesten Kunsthochschulen in Europa und wurde aufgenommen. Leider musste ich meine Studien wegen Meinungsverschiedenheiten mit einem meiner Lehrer vorzeitig beenden.“
    „Ah ja.“
    „Inzwischen habe ich mich als Künstlerin etabliert. Die Leute sind verrückt nach meinen Bildern. Im vergangenen Jahr hatte ich sogar eine Ausstellung in New York. Und was hast du nach dem Abitur gemacht? Auf dem Klassentreffen hatten wir leider wenig Gelegenheit zum Plaudern.“
    Hedi schüttete Zucker in ihr Tässchen und rührte um. „Ich bin mit einem Polizisten verheiratet, habe zwei Kinder und arbeite als Krankenschwester im Offenbacher Stadtkrankenhaus.“
    „Meine liebe Hedwig! Diese magere Story hast du mir vor fünf Jahren schon aufgetischt. Zwischen Tür und Angel sozusagen. Aber das ist ja wohl nicht alles, was du zu berichten hast?“
    Hedi verzog das Gesicht. „Tu mir einen Gefallen und sag Hedi.“
    „Was hast du gegen den Namen Hedwig?“
    „Das weißt du doch genau!“
    „Nein. Woher?“
    Hatte Vivienne diese unsägliche Wette tatsächlich vergessen? Oder tat sie nur so? Hedi trank einen Schluck. „In der achten Klasse war ich kurz davor, dich zu ermorden.“
    Vivienne lächelte. „Weil ich dem Mathelehrer schöne Augen gemacht habe, in den du heimlich verschossen warst?“
    „Das mit dem Mathelehrer war zwei Jahre später. Du hast mir meine

Weitere Kostenlose Bücher