Die Wassermuehle
... Ich habe mich einfach nicht getraut, es dir zu sagen.“
Hedi stemmte ihre Arme in die Hüften. „Du hast Abertausende Euro für Firlefanz zum Fenster rausgeschmissen, obwohl dir längst klar war, dass du pleite bist? Du hast dich ins Grundbuch eintragen lassen, obwohl du wusstest, dass du dich überhaupt nicht an den Umbaukosten beteiligen kannst? Du hast es darauf angelegt, dass am Ende ich dieses verflixte Atelier finanzieren muss? Mit Juliettes Geld!“
„Hedi, bitte! Lass dir erklären ...“
„Wo wohnt diese verfluchte Eschenberg?“
„Vorgestern versuchte ich, sie zu kontaktieren.“ Vivienne fing an zu weinen. „Sie ist verschwunden. Mit Sack und Pack abgehauen. Selbst ihr Name auf dem Klingelschild ist weg. Es ist, als hätte sie nie existiert.“
„Klaus sagt, das hat sie auch nicht.“
„Hätte ich kontrollieren sollen, ob sie ihren Meldezettel ordentlich ausfüllt?“
„Also gut. Dann fahren wir jetzt zur Polizei und erstatten Anzeige wegen Diebstahl, Betrug, Untreue oder was immer da in Betracht kommt.“
„Nein! Das geht nicht, weil ... Nun ja, ich habe hier und da vergessen, ein paar Formulare fürs Finanzamt auszufüllen, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Klar! Du hast den Staat beschissen, du hast mich beschissen, und jetzt hat die Eschenberg dich beschissen. Hast du eine Sekunde daran gedacht, dass du nicht nur meine, sondern auch die Existenz von Uwe aufs Spiel setzt?“
Vivienne sah zu Boden. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das alles tut.“
„Du wiederholst dich.“
„Ich könnte mein Auto verkaufen.“
„Das reicht nicht.“
„Bestimmt finde ich bald eine Galerie, die bereit ist, meine Werke ...“
„Hast du überhaupt jemals irgendeinen deiner Schinken an irgendjemanden verkauft?“
Viviennes Unterlippe fing an zu zittern. „Ja. Mehr als fünfhundert Stück, wenn du’s genau wissen willst.“
„Das glaubst du doch selbst nicht.“
„Ich kann nichts dafür, dass die Nachfrage momentan stagniert.“
„Vielleicht solltest du Bilder malen, die die Leute mögen.“
Vivienne wurde weiß vor Zorn. „Eine tolle Idee! Wirklich famos!“ Sie riss die Leinwand von der Staffelei und warf sie auf den Boden. „Röhrende Hirsche im Waldesgrün! Glutäugige Zigeunerinnen! Bäumchen! Blümchen! Häuschen! Damit Papi was zum Über-die-Couch-Hängen hat!“
„Du kannst die Menschen nicht zwingen, Geld für etwas auszugeben, das sie hässlich finden.“
Vivienne trampelte auf der Leinwand herum. Der Holzrahmen zerbrach, und die feuchte Farbe färbte ihre Schuhe grün. „Unsere Kunst muss schön sein, Frau Belrot! Das Auge erfreuen! Sehnsüchte wecken, Träume bedienen! Dass ich nicht lache!“
„Hör auf“, sagte Hedi.
„Massenware! Billigkram! Kitsch! Dreimal verdammten Kitsch hängt ihr euch über eure dreimal verdammten Wohnzimmersofas! Und habt keinen Schimmer, was Kunst überhaupt ist!“
„Ich dachte immer, es hat was mit Können zu tun. Im Übrigen darfst du mich gern wieder duzen.“
Vivienne stieg von der Leinwand und betrachtete traurig das zerstörte Bild. „Ich suche Visionen, Hedi. Energie. Licht.“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Das Leben ist Licht. Wir sind Licht. Farben sind Kinder des Lichts. Licht ist die lebendige Seele der Welt.“
„Pass auf, dass du nicht in die Splitter trittst.“
„Es explodiert, dringt in das Wesen ein, tritt als Eroberer auf; es beherrscht die Welt, die seinem Ruhm eine Stütze ist, seinem Triumph ein Instrument und ...“ Sie sank auf ihren Malerhocker. „Ich habe versagt.“
Hedi hob die Reste der Leinwand auf. „Was hat dir deine Zerstörungswut jetzt gebracht?“
„Ich fühle mich besser.“
„So siehst du aber nicht aus.“ Hedi holte einen Besen und kehrte die herumliegenden Holzsplitter zusammen.
„Ich dachte, ich könnte es irgendwie noch regeln“, sagte Vivienne leise. Sie fing wieder an zu weinen. „Bitte glaube mir: Ich wollte dich nicht betrügen.“
„Lass gut sein.“
„Malen ist mein Leben!“
Wieviel sie auch gelogen hatte, das zumindest meinte sie ernst. Hedi lächelte. „Was würdest du eigentlich machen, wenn ich dir nicht ab und zu was zu Essen hinstellen würde, hm?“
Vivienne sah sie scheu an. „Wahrscheinlich Odenwälder Springblattpampelmusen verspeisen. Verzeih mir. Bitte, Hedi.“
K APITEL 40
„W as ist das denn?“, fragte Klaus amüsiert, als er nach dem Ende der Sommerferien zu seinem ersten Spätdienst kam. „Während der Arbeit
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