Die Wassermuehle
Heitere Gemüter wie Gottfried Hübner allerdings auch.
Weit schlimmer als Mathilde selbst war der tägliche Weg zu ihr hinaus. Fünfzehn Kilometer einsame Landstraße und zu viel Zeit zum Nachdenken. Sie hatte Klaus mit ihren Worten gedemütigt, und sie wünschte, sie hätte sie nie gesagt. Sie hatte ihn angerufen, wollte erklären, sich entschuldigen, aber sie verfingen sich in unverbindlicher Freundlichkeit, redeten viel und sagten nichts. Dass sie Dominique in der Schule abgemeldet hatte, machte die Sache nicht leichter.
Scheidung. Klaus hatte das Tabuwort zuerst ausgesprochen, und seitdem geisterte es durch ihren Kopf. War von ihrer Ehe nicht mehr geblieben als der Versuch, wenigstens mit Anstand getrennte Wege zu gehen? Wenn sie Klaus noch liebte – hätte sie sich nicht über Wolfgang Bernsdorfs Avancen amüsieren müssen, anstatt sie insgeheim zu genießen? Längst waren ihr Viviennes anzügliche Bemerkungen egal, wenn Ansichtskarten aus Buenos Aires, Eilbriefe aus Mailand oder eMails und SMS aus Paris kamen. Im Hafen von La Plata dachte ich an das Glöckchen und den Walzenstuhl. Du weißt, warum. Wolfgang. Bei dem langweiligen Geschäftsessen gestern Abend habe ich mir überlegt, wo Du wohl Laotse aufhängst. W. Keine gute Nachricht heute: Ich muss mit einem exzentrischen Kunstsammler wandern gehen. Ich hoffe, Du hörst mein Seufzen. W. Wichtiges Meeting. Muss Rückkehr erneut verschieben. SORRY!
Aber wenn sie Wolfgang liebte – müsste sie sich nicht darüber freuen, dass Klaus auf Distanz ging? Dass er sich weigerte, in die Mühle zu ziehen? Wie konnte sie über Scheidung nachdenken und gleichzeitig auf seine junge Kollegin eifersüchtig sein? Weißt du eigentlich, wie sehr du mir fehlst? Wenn ihm so viel an ihr lag: Warum endeten ihre Gespräche jedes Mal im Streit?
Am Ende eines asphaltierten Feldwegs bog Hedi in die von Buchen gesäumte Einfahrt zum Wiedebrettschen Anwesen ein. Mathildes Haus war so düster wie ihre Stimmung. Im Wohnzimmer brannte schon Licht.
* * *
Pünktlich am siebten Werktag nach Anette Winterfeldts Auftritt in der Eichmühle hatte der Postbote eine anwaltliche Mahnung über dreißigtausend Euro plus Zinsen zugestellt. Hedi schrieb ihrer Schwägerin einen Brief und schlug vor, nach Eingang ihres ersten Gehalts die Schulden in monatlichen Raten abzuzahlen. Eine Antwort war ihr Anette schuldig geblieben; ganz im Gegensatz zu Sascha. Auf ihre Frage, ob er sich nicht doch vorstellen könnte, in die Mühle zu ziehen, hatte er klipp und klar Nein gesagt und hinzugefügt: „Ich finde es reichlich unfair, was du mit Papa machst!“
Schroff hörte es sich an und verdächtig nach männlicher Trutz- und Leidensgemeinschaft. Was, zum Donnerwetter, hatte Klaus dem Jungen erzählt?
In ihrer knappen Freizeit fuhr Hedi nach Darmstadt, um ihre Tochter in der neuen Schule anzumelden, Behördengänge zu erledigen, Farben und Tapeten einzukaufen. Nach Feierabend renovierte sie Dominiques Zimmer, morgens stand sie noch früher auf, um wenigstens das Nötigste im Haushalt zu tun. Den Garten und die Geranien goss sie abends im Dunkeln. Sie hatte keine Zeit mehr, mit Elisabeth Kaffee zu trinken, mit Uwe ein Schwätzchen zu halten, in Muße zu töpfern oder am Mühlbach spazierenzugehen. Ihre Appelle an Vivienne, sich eine vernünftige Arbeit zu suchen und die Malerei als Hobby zu betreiben, provozierten Wutanfälle oder Tränenausbrüche und hatten zur Folge, dass sie den Rest des Tages im Bett oder im Bad verbrachte, sofern sie nicht gerade den Kühlschrank mit Eiern, Quark oder Magermilch für ihre Diäten und Gesichtsmasken füllte. Klaus war im Dienst, für Tachnon unterwegs oder gerade nicht zu sprechen. Von Wolfgang kam keine Karte mehr. Hedi war übermüdet, überfordert und gereizt. Ihr Geduldsfaden riss an einem sonnigen Septembermittwoch.
Sie brüllte Alfons Schell an, er solle seinem Das kann ich nicht! gefälligst Das will ich nicht! hinzufügen, und Mathilde Wiedebrett wurde sprachlos angesichts der Vokabeln, mit denen Hedi ihr zu verstehen gab, dass sie die Wahl zwischen einer neuen Pflegerin und einer neuen Wohnzimmeruhr habe.
Als sie nachmittags nach Hause kam, waren die Bourbonrosen vor der Mühle verschwunden. Tim und Tom schlichen hungrig um ihre Futternäpfe, und die Hühner brüteten auf den Eiern vom Vortag. Im Flur lagen Viviennes Pumps, im Wohnzimmer stand ein Korb mit ungebügelter Wäsche. Auf dem Küchentisch klebte der Pürierstab in der Abwaschschüssel, und ein
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