Die Wassermuehle
gutes Dutzend Obstfliegen umschwirrten matschige Papayastückchen und nasse Aprikosenkerne; auf der Anrichte schwamm ein leerer Sahnebecher in Salatöl. Im Bad sangen Wale gegen die Brandung an.
Hedi lief nach oben und riss die Tür auf. Eine Wolke aus Zitronenöl nahm ihr den Atem, gelber Tüll die Sicht. Sie schlug ihn wütend beiseite.
Die Fensterläden waren geschlossen; auf dem Boden, dem Badewannenrand und auf der Edelstahltoilette flackerten Teelichter. Bidet und Dusche waren mit Tüchern verhängt.
Vivienne lag in golden schimmerndem Wasser und streichelte mit einem Puderpinsel ihr Dekolleté. Wattepads bedeckten ihre Augen, Rosenblätter umspülten ihre Knie. Ihr Gesicht bedeckte schleimiger Brei. Der Mund sang bei den Walen mit.
Hedi schaltete die Deckenbeleuchtung ein. „Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?“
Vivienne fuhr hoch. Pinsel und Pads fielen ins Wasser. Der Brei begann zu rutschen. „Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken?“
Hedi zog den Stecker des CD-Players heraus. Wale und Meer verstummten. „Kannst du mir in drei Teufels Namen verraten, was du hier treibst?“
Vivienne schossen Tränen in die Augen. „Bitte mach die Musik wieder an, ja?“
Hedi riss die Tücher zur Seite und blies Teelichter aus.
„Hedi! Nicht!“
„Willst du die ganze Mühle in Brand stecken?“
„Das gehört zu meiner Psycho-Balance-Energy-Pflege. Die Feng-Shui-Lehre sagt ...“
„Die Küche sieht aus wie ein Saustall!“
„Das tut mir ja leid. Aber die dumme Maske wollte einfach nicht emulgieren.“
Hedi blieb drohend vor der Badewanne stehen. „Soll das etwa heißen, dass du dir den Obstsalat ins Gesicht geschmiert hast?“
„Aprikosen und Papaya aktivieren die Kollagenbildung und glätten den Teint.“
„Du siehst aus wie Frankensteins Schwester!“
Vivienne schlug mit den Händen ins Wasser. „Das Licht! Die guten Energien! Du hast alles kaputtgemacht.“
Hedi warf ihr ein Handtuch zu. „Wisch dir den Kleister ab und räum gefälligst die Küche auf.“
„Fast wäre ich soweit gewesen.“
„Himmelherrgott! Ich bin soweit!“ Hedi nahm den Abfalleimer und warf wahllos Tuben und Tiegel, Flakons und Fläschchen hinein. „In diesem bescheuerten Bad ist nicht mal Platz für meine Zahnbürste!“
Vivienne kletterte weinend aus der Wanne.
„Putztücher findest du im Küchenschrank links oben. Und mach das Spülwasser ordentlich heiß, damit das Fett abgeht.“
„Du bist widerlich! Ich hasse dich!“, schrie Vivienne und rannte aus dem Bad.
Hedi fischte den Pinsel und die aufgeweichten Pads aus der Wanne und zog den Stöpsel. Während das Wasser gurgelnd verschwand, sammelte sie die Teelichter ein. Neben der Toilette lag die neueste Ausgabe der Annabella. Die Frau auf dem Titelbild lächelte. Sie war jung, schlank und schön. Die Themen waren in gelben Lettern gesetzt. Dreiunddreißig Wellness-Tipps zum ultimativen Urlaubs-Feeling: gute Laune, strahlendes Aussehen, Power pur! Und rechts daneben: Das Helfersyndrom. Warum Frauen nicht Nein sagen können. Hedi sank auf den Rand der Wanne, schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
* * *
Vier Tage später zog Dominique in die Eichmühle ein. Es war Sonntag, und Hedi hatte nachmittags frei. Sie buk Waffeln, kochte Kaffee und schaute alle fünf Minuten aus dem Fenster. Kurz nach vier Uhr fuhr ein Kleinlaster über die Brücke. Hedi strich sich vor dem Garderobenspiegel den Pony aus dem Gesicht und ging hinaus in den Hof. Klaus hatte kaum angehalten, als Dominique aus dem Führerhaus sprang.
„Hallo Mama! Ist Uwe da?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie davon.
Klaus fluchte. „Ich möchte wissen, von welchem Autofriedhof sie diese Karre geklaut haben!“
Hedi zeigte lächelnd auf ihren VW-Bus. „Wahrscheinlich vom selben.“
„Wohin soll ich den Kram tragen?“
„Willst du mir nicht erst mal guten Tag sagen?“
„Guten Tag. Wo soll das Zeug hin?“
„Das neulich ... Ich hab’s wirklich nicht so gemeint.“
Klaus ging um den Wagen herum, löste die Plane und öffnete die Ladeklappe. „Ist deine Künstlerfreundin beim Yoga?“
„Sie ist zu einer Vernissage nach Darmstadt gefahren.“ Hedi berührte ihn am Arm. „Klaus, ich ...“
„Du hast bekommen, was du wolltest, oder?“
„Du siehst müde aus.“
„Ich hatte Nachtdienst.“ Er schob sie beiseite und fing an, Kisten abzuladen.
Sie kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals. „Wie würdest du reagieren, wenn dir jemand erzählte, dass ich mit einem
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