Die Wassermuehle
Computer wieder hoch und bat die sichtlich nervöse Anzeigenerstatterin ins Vernehmungszimmer. Sie trug ein aufdringlich gemustertes Kleid, hatte knallrot geschminkte Lippen und war ihm auf Anhieb unsympathisch. Er schloss die Tür und zeigte auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch. „Sie wollen Strafanzeige erstatten, Frau ...?“
„Weber. Es klingt völlig verrückt, ich weiß. Aber als ich gestern dabei war, das Treppenhaus zu putzen, ich war schon fast fertig, also, da kommt doch so eine Dame vorbei, ganz vornehm gekleidet, wissen Sie, graues Kostüm, weiße Bluse und ...“
„Wollen Sie sich nicht erst mal setzen, Frau Weber?“
„Ja, sicher. Danke. Wissen Sie, ich bin so schrecklich aufgeregt. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen wegen dieser furchtbaren Sache. Und heute Abend kommt doch mein Mann von seiner Dienstreise aus Dingolfing zurück! Er arbeitet nämlich bei einer Privatbank in Frankfurt. Und hat eine wichtige Schulung. In Dingolfing.“
Klaus versuchte, den aktualisierten Formularschrank zu öffnen.
Die Dame unterbrach ihre Ausführungen. „Funktioniert Ihr Computer nicht, Herr Polizist?“
„Er kann mich nicht leiden.“
„Was? Na ja, ist ja auch egal, also diese elegante Dame in dem grauen Kostüm, die vorbeikam, als ich gestern gerade dabei war, das Treppenhaus zu putzen, die sprach mich an, ganz freundlich hat sie mich gefragt, was ich so mache und so, und dann hat sie mir erzählt, dass sie eine Wahrsagerin ist. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, ich falle auf so eine Zigeunerin in bunten Röcken rein. Die Dame war wirklich eine außerordentlich vornehme Dame, und sie hatte ...“
„... ein graues Kostüm an.“
„Wieso? Kennen Sie sie etwa?“
„Die außerordentlich vornehm gekleidete Dame sagte Ihnen wahr und behauptete, dass Ihnen ein großes Unglück bevorstehe“, sagte Klaus.
„Ja, genauso war’s! Und ich könnte es abwenden, wenn ich einen Test machen würde.“
„Sie haben sie in Ihre Wohnung gelassen. Sie knüpften sieben Knoten in einen Faden. Der Faden verschwand aus der Hand der vornehmen Wahrsagerin.“
„Nur die Knoten“, sagte Frau Weber. „Der Faden war noch da.“
„Wieviel Geld haben Sie in die Zeitung gewickelt?“
„Aber woher wissen Sie denn das alles?“
„Mehr als tausend Euro?“
Frau Weber fing an zu schluchzen. „Zweitausenddreihundertfünfzig. Wenn das mein Mann erfährt! Aber die Dame hat die Zeitung doch gar nicht angefasst! Ich hab’s genau gesehen. Wir sind nämlich zusammen aus dem Zimmer gegangen. Und als wir wieder reinkamen, war ein Loch drin.“
„In der Zeitung.“
„Ein großes, rundes, ausgefranseltes.“
„Und das Geld hatte der Teufel geholt.“
„Ja! Genau!“
„Sie sind die Fünfte seit gestern.“
Nachdem Frau Weber ihre Aussage unterschrieben hatte, brachte Klaus sie zur Tür. Danach ging er in die Wache. Michael sortierte Fernschreiben. Dagmar las in der Polizeirundschau.
„Noch eine von der Sorte, und ich kündige“, sagte Klaus.
Michael grinste. „Du sollst zu Kissel kommen.“
„Warum? Hat meine Tochter der ollen Ecklig wieder die Ohren vollgedudelt? Langsam müsste sie von dem Krach schwerhörig sein, den sie dauernd anzeigt.“
„Unser Dienststellenleiter hat vorhin Bekanntschaft mit Herrn Jacobs gemacht“, sagte Michael.
„Und den Lekäbrös“, fügte Dagmar kleinlaut hinzu.
„Er fragte nach dem aktuellen Ermittlungsstand und lobte die Funkdisziplin der D-Schicht“, sagte Michael. „Leider war er gezwungen, sein Lob umgehend zu revidieren.“
„Meine Schuld“, sagte Dagmar. „Ich musste laut lachen.“
„Kann man in diesem Saftladen nicht mal ungestraft Leberkäsbrötchen und Kaffee besorgen?“
„Er hat nicht die beste Laune heute“, bemerkte Dagmar, als Klaus gegangen war.
Michael zuckte mit den Schultern. „Sein langjähriger Streifenpartner will sich in die Ermittlungsgruppe nach Rodgau verkrümeln. Das schlägt ihm aufs Gemüt.“
„Ist Uli deshalb allein rausgefahren?“
„Ja. Er möchte sich den Laden ansehen, bevor er seine Bewerbung abgibt. Ich kann ihn verstehen. Immerhin schiebt er seit fast fünfunddreißig Jahren Schichtdienst.“
„Na? Was hat der Chef erzählt?“, fragte Michael amüsiert, als Klaus zurückkam. Er zuckte die Schultern.
„Es tut mir wirklich leid, Klaus“, sagte Dagmar verlegen.
„Halb so schlimm“, bemerkte Michael. „Bei unseren Umgebetteten kann nicht mehr viel schiefgehen mit der Karriere.“ Er gab Klaus eine Akte.
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