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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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Erinnerung: Getrocknete Dreckkrümel lösten sich aus dem Profil ihrer Stiefel, markierten den Weg von der Vorhalle quer über den champagnerfarbenen Teppich im Salon und endeten vor dem Chippendale-Stuhl, auf dem sie Platz genommen hatte. Als Anette lächelnd ihr Dienstmädchen mit Kehrschaufel und Besen herbeizitierte, wäre Hedi am liebsten im Boden versunken. Sie würde es nie zugeben, aber im Haus ihres Schwagers bekam sie jedesmal Minderwertigkeitskomplexe.
    „Vielleicht sollte ich vorher zum Friseur gehen. Was meinst du?“
    Klaus sah von der Zeitung auf. „Mir gefällt dein Haar, wie es ist.“
    „Mir aber nicht.“
    „Dann geh halt in Gottes Namen zum Friseur.“
    „Du würdest es nicht einmal merken, wenn ich nackt herumliefe“, sagte Hedi gereizt.
    Klaus grinste. „Hast du eine Ahnung!“
    Hedi ging in die Küche. Regen schlug gegen das Fenster, in der Ablaufrinne auf der Fensterbank sammelte sich Wasser. Schon zweimal hatte sie dem Vermieter gesagt, dass das verflixte Fenster undicht war! Sie rollte ein Handtuch zusammen, legte es unter und zupfte ein paar welke Blättchen von ihrem Bubikopf. Das kräftige Grün harmonierte mit dem himmelblauen Übertopf, den sie in ihrer ersten Kursstunde getöpfert hatte. Hedi war froh, dass sie sich dazu entschlossen hatte, ihr Hobby aus der Schulzeit wiederzubeleben. Die Arbeit mit dem geschmeidigen, kühlen Material machte ihr Spaß und ließ sie den Alltagsstress vergessen. Schade, dass sie in der Nachtdienstwoche den Kurs nicht besuchen konnte.
    Ihr Treffen mit Vivienne lag fast drei Wochen zurück; seitdem hatten sie nur einmal miteinander telefoniert, und Hedi hatte einsilbig reagiert, als Vivienne versuchte, sie über Bernd und Anette auszufragen. Sollte sie für die renommierte Künstlerin etwa den Vermittlungsmohren spielen?
    Sie sah nach draußen. Die Dachrinne am Hinterhaus leckte. Die Säcke hinter den Fenstern wirkten grau. Bist du glücklich? Viviennes Frage ließ Hedi keine Ruhe. Sie hatte einen Beruf, der sie ausfüllte. Sie war gesund. Ihre Kinder waren weder sitzengeblieben noch kriminell. Ihr Mann ging nicht fremd; zumindest nahm sie das an. Sie konnte also zufrieden sein. Aber glücklich? Glücklich war sie als Kind gewesen, wenn sie zu Tante Juliette in die Eichmühle fahren durfte, oder an dem Tag, als Klaus ihr seine Liebe gestand. Und als sie sich mit ihm lachend darum gestritten hatte, ob das Wawa aus Saschas breiverschmiertem Mund Papa oder Mama heißen sollte. Konnte denn Glück nach so vielen Jahren Ehealltag überhaupt noch etwas anderes sein als Zufriedenheit?
    Hedi dachte an die alte Frau Hartmann mit dem Oberschenkelhalsbruch von Zimmer fünfhundertvier: Wie ihre Augen leuchteten, wenn ihr Mann frühmorgens an ihr Bett kam. Die Fürsorglichkeit, mit der er ihre Hand hielt. Sein beharrliches: Das wird wieder, Erna! Die zärtlichen Blicke, die selbst die unsensible Belinda berührten.
    „Wir sind seit einundsechzig Jahren verheiratet. Ich bin nichts ohne sie“, hatte er Hedi anvertraut.
    „Na? Schaust du dir den Regen an?“
    Hedi fuhr herum. „Gott! Hast du mich erschreckt!“
    Klaus deutete auf das nasse Handtuch auf der Fensterbank. „Wir sollten ab sofort die Miete kürzen.“
    „Davon wird der bröselige Kitt auch nicht dicht.“
    „Aber wir kommen ein bisschen schneller zu unserem Haus.“
    „Warum können wir nicht einfach in eine schönere Wohnung ziehen?“
    Klaus legte seine Hände auf ihre Schultern. „Was ist los mit dir, hm?“
    „Ich hab’s satt, in dieser Bruchbude zu leben! Das ist los!“, sagte sie schärfer als beabsichtigt.
    „Noch zwei, drei Jährchen Geduld, und wir ...“
    „Wenn die Kinder erwachsen sind, brauchen wir kein Haus mehr.“
    Klaus ließ sie los. „Entschuldige, dass ich dir nicht mit einem dicken Bankkonto dienen kann.“
    Ohne dass sie es wollte, hatte sie seinen wunden Punkt getroffen. Bevor sie etwas erwidern konnte, klingelte das Telefon.
    Vivienne war bester Laune und erzählte Hedi, dass sie eine besonders kreative Phase habe. „Hast du nicht Lust, mich mal wieder zu besuchen?“
    „Mhm“, sagte Hedi.
    „Das hört sich nicht gerade begeistert an, meine Liebe!“
    „Doch, doch!“
    „Ich muss zum Dienst“, sagte Klaus. „Tschüss.“
    Hedi nickte. Vivienne hatte wirklich ein Talent, zur unpassendsten Zeit anzurufen!
    * * *
    Bei ihrem zweiten Besuch in Frankfurt lernte Hedi Viviennes Freund kennen. Er sah nicht so aus, wie sie sich einen einflussreichen Kunstmakler

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