Die Wassermuehle
erfüllt, eine Druckausgabe des Grimm zu besitzen.
Teile aus dem „Künstlerleben“ Viviennes, vor allem die überdrehte Sprache gewisser Leute, die sich in dieser Szene bewegen, sind mir aus eigenem Erleben bekannt; ich arbeite ja nicht nur selbst als bildende Künstlerin, sondern habe auch, allerdings in sehr kleinem und regionalem Rahmen, Ausstellungen organisiert beziehungsweise daran teilgenommen. Für die Neubearbeitung des Romans kam mir außerdem zupass, dass mein Mann mit Bekannten vier Jahre lang das Künstler-Café Mocca betrieb, in dem wir regelmäßig Ausstellungen und Lesungen abhielten. Neben dem Kästchen mit den polizeilichen Stilblüten stand übrigens ein zweites mit „schriftlichen Sammlungen“ über Kunst und Kultur, die ich Vivienne und Galerist Wolfgang Bernsdorf überlassen habe. Ganz ehrlich: Manchmal wusste ich nicht, über welche Inhalte ich mehr lachen sollte.
Thoni: Trotzdem missbrauchen Sie Vivienne nicht als Klamaukfigur.
N.H.: Wie auch? Sie ist zwar von ihrer Persönlichkeit her etwas seltsam, aber nichtsdestotrotz eine ernst zu nehmende Künstlerin. Leider bedient sie nicht das Bedürfnis einer Szene, die ständig das Besondere sucht, wie es Galerist Bernsdorf so hübsch formuliert. Dass ihre Bilder dann doch Erfolg haben, ist nicht nur dem Zufall und Hedis Flunkerkunst, sondern vor allem dem Umstand geschuldet, dass sie an die richtigen Kontakte kommt. Plötzlich sind auch ihre anderen Bilder interessant – zu Recht. Auch wenn ihre Ausführungen zur Bedeutung von Form und Farbe in den Ohren pragmatischer Menschen wie Klaus und Hedi verschroben klingen mögen, sind sie doch das Ergebnis einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit der Frage, was Kunst überhaupt ist. Gleichwohl erlaube ich mir, die Auswüchse „moderner Kunstliebhaberei“ vergnüglich durch den Kakao zu ziehen. Die kleine Ausstellungsführung außer der Reihe, die Hedi im Heidelberger Schloss veranstaltet, hat es übrigens tatsächlich gegeben, wenn auch an einem anderen Ort. Darauf hereingefallen sind die Leute hier wie dort.
Thoni: Und was ist aus Herrn Renzullos Stein geworden?
N.H.: Das ist eine derjenigen Szenen, die die Aktualisierung des Romans überlebt haben, obwohl sie in der Realität keinen Bezugspunkt mehr haben. Der Stein steht schon seit vielen Jahren nicht mehr auf diesem Parkplatz. Ende der 1990er Jahre erschien ein Artikel in der Tageszeitung Offenbach-Post, der mich zu der entsprechenden Szene im Roman inspirierte. Den Polizeieinsatz hat es so nicht gegeben. Umso realer war indes jenes mir unvergessliche Erlebnis, das ich auf einer Lesung in Offenbach hatte: Kommt ein Herr auf mich zu und sagt, dass er doch mal sehen wolle, wer das Buch geschrieben habe, in dem er samt seinem Kunstwerk vorkomme. Wie es sich herausstellte, hatte mich Herr Renzullo höchstpersönlich beehrt. Wir haben beide herzhaft gelacht. Ganz bestimmt wird Renzullos Stein auch künftig einen festen Platz in der Wassermühle haben. Provokation Räume: Das ist einfach zeitlos köstlich!
Thoni: Sie sagten anfangs, Die Wassermühle sei ein zeitgenössischer Roman. Also nur Unterhaltung? Oder haben Sie auch eine Botschaft?
N.H.: Zunächst einmal: Jeder Leser darf und soll diesen Roman zur Freude und Unterhaltung lesen, über die Späßchen lächeln oder ein bisschen traurig werden beim Auf und Ab in der Beziehung zwischen Klaus und Hedi, und natürlich soll er das Happy End samt hart gekochtem Ei mit einem Schmunzeln genießen, ohne groß darüber nachzudenken. Was die Botschaft angeht, halte ich es mit Reiner Kunze, der in seiner Apfelweinkneipe Viviennes Kunstwerke ausstellen will: Wir sind davon überzeugt, dass auch die sogenannten normalen Leute für anspruchsvolle künstlerische Arbeiten zu begeistern sind, wenn sie sie in einem Umfeld präsentiert bekommen, das sie nicht einschüchtert. Insofern hoffe ich, dass der eine oder die andere vielleicht auch zwischen den Zeilen lesen und erkennen mag, dass Die Wassermühle von der Gesellschaft erzählt, in der wir leben, und von dem Miteinander, oder vielmehr Nicht-mehr-Miteinander der Menschen.
Thoni: Inwiefern?
N.H.: Bewusst habe ich verschiedene Lebenswelten nebeneinander und gegeneinander gestellt: die sensible, überkandidelte Künstlerin und die bodenständige, pragmatische Krankenschwester; die idealistische, ehrgeizige junge Polizistin und der erfahrene, am Leben gereifte Polizeibeamte; der welt- und wortgewandte, beruflich erfolgreiche und bewunderte Galerist
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