Die Wassermuehle
Bernsdorf, die literaturbegeisterte adelige Dorfbäuerin Elli, deren vorgeblicher Abstieg sie letztlich ihr Lebensglück finden ließ, auch wenn das mit ihren romantischen Vorstellungen vom Landleben herzlich wenig zu tun hatte. Dass auch die „kleinen“ Nebenfiguren im Roman Namen haben und individualisiert werden, etwa Maria Westhoff, die verrückte alte Dame mit den Gespenstern im Wohnzimmer, oder Anne Ludewig, die ihren Sohn verliert, hat ebenfalls mit dieser Intention zu tun. Friedrich Hartmann, dessen Frau nach 61 Jahren Ehe stirbt, die pöbelnde Taxifahrerin Martha, die ihren Mann vermöbelt oder Willi, der „objektiv gesehene versoffene Pennbruder“, stehen für die vielfältigen, tragisch-komischen Lebenswelten, die, teils unsichtbar, in unserer Gesellschaft existieren.
Thoni: Nicht wenige von ihnen haben am Ende die Einsamkeit zu Gast.
N.H.: Ja, die Einsamkeit hat viele Gesichter: Menschen wie Rosa Ecklig oder der alte Witwer Möbius, der auf die Hefeklöße seiner Nachbarin schimpft, versuchen sie mit Aggressionen zu bekämpfen, andere ziehen sich zurück, stürzen sozial ab wie „Penner Willi“. Auch wenn es ihn als reale Person nicht gegeben hat: Ich war damals bei der Räumung der Hütten am Kaiserlei dabei und habe das genau so empfunden, wie Klaus es im Roman Dagmar erzählt. In solchen Momenten ist man sprachlos, weil die Verlassenheit eines Menschen so übermächtig deutlich wird. Einsamkeit ist ein existenzielles Gefühl; ich habe das oft gespürt, wenn ich in eine dieser verwahrlosten Wohnungen kam, in denen ein Mensch (meist waren es Männer) seit Wochen unbemerkt tot im Bett lag oder, besonders makaber, vor dem laufenden Fernseher saß. Jeder Gegenstand atmete die Verzweiflung über das Verlassensein, die sich schon lange vor dem Tod allen Lebens bemächtigt hatte. Nicht der Tod war das Erschütternde, sondern die Geschichte, die er über das Schicksal eines einsamen Menschen erzählte.
Thoni: Im Roman erlebt Klaus nicht nur dienstlich, sondern auch privat, wie bitter dieses Gefühl ist ...
N.H. : Er versucht es zunächst zu verdrängen und, als das nichts hilft, mit Ironie und zu viel Bier dagegen anzukämpfen. Wie verlassen er sich tatsächlich fühlt, merkt seine junge Kollegin, als sie ihn an seinem Geburtstag mutterseelenallein in seiner Wohnung findet. Als er glaubt, Hedi verloren zu haben, und nachdem sein Sohn angekündigt hat, auszuziehen, hat er eine solche Angst vor der leeren Wohnung, dass er lieber im Auto bleibt und sich betrinkt, als in ein Zuhause zurückzukehren, das für ihn keins mehr ist. Aber es gibt auch eine subtile und doch nicht minder schmerzliche Einsamkeit, die auf den ersten Blick nichts mit Alleinsein zu tun hat. Sie versteckt sich hinter glänzenden Fassaden, auf denen Dinge stehen wie: Erfolg, Macht, Einfluss. Wie einsam muss der umschwärmte Wolfgang Bernsdorf innerlich sein, wenn er Sätze sagt wie diesen: Es gibt nicht allzuviele Menschen, bei denen ich sicher bin, dass sie mich um meiner selbst willen mögen.
Thoni: Sowas überliest man aber schnell ...
N.H. (lächelt): Ja, ebenso schnell, wie man es im Alltag überhört. Diese Sprachlosigkeit zu zeigen, das Schweigen inmitten von Geschwätzigkeit und die stillen Schreie überhörter Nebensätze: Auch das war eine Intention, diesen Roman zu schreiben. Ich wollte eine Geschichte darüber erzählen, wie wir miteinander kommunizieren, oder eben auch nicht (mehr) kommunizieren. Wir verstehen uns – in der Doppeldeutigkeit dieses Satzes liegt das Geheimnis gelungener Beziehungen: Ich schätze dich, weil ich verstehe, was du sagst. Ich verstehe dich, weil ich dich einzuschätzen weiß. Sich die Zeit zu nehmen, einen Menschen wirklich kennenzulernen, entbindet von der Mühe, seine Worte einzeln auf die Waagschale zu legen, und vor allem hilft es, sie richtig abzuwägen. Ich hab’s nicht so gemeint: Wer mag, kann sich einen Spaß daraus machen und mal nachzählen, wie oft dieser Satz meinen Figuren über die Lippen kommt.
Thoni: Und welche Funktion hat die Sprache, die Sie aus Ihren Zettelkästen und als Literaturzitate einbringen?
N.H. : Nun ja, manchmal legen es Gesprächspartner bewusst darauf an, vom Gegenüber nicht verstanden zu werden: Sprache dient dann nicht der Kommunikation, sondern als Bollwerk, um sich gegen andere abzugrenzen. Man kann mit sehr vielen Worten nichts sagen oder, wie es Klaus ausdrückt, Selbstverständlichkeiten in Neudeutschgelaber so geschickt verpacken, bis sie niemand
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