Die Wassermuehle
Rede!“
„Ich hab jets keinlust, eine Rede su halten.“ Er rülpste. „Brüderchen“, sagte er zu Klaus. „Du kanns dir nicht vorstelln, wie satt ich das alles hab.“
Die Gäste fingen an zu tuscheln.
„Ihr beide solltet ein wenig an die frische Luft gehen“, sagte Hedi.
Arm in Arm wankten die Männer auf die Terrasse. Hedi ging zusammen mit den anderen Gästen in den Salon. Anette lief die Treppe hinauf und verschwand im Bad.
Vor einer Mauer beim Swimmingpool hatte das Personal das Silvesterfeuerwerk arrangiert, damit es der Hausherr pünktlich um Mitternacht entzünden konnte. Bernd zückte sein Feuerzeug und fing an zu singen. „Stille Nacht, heilige Nacht, alles pennt, bis es kracht.“ Eine nach der anderen Rakete stieg in die Luft. „Heuer bin ich schneller als die Gongurrens!“
Klaus hielt sich den Bauch vor Lachen. Die vornehmen Gäste standen in der Terrassentür und reckten die Köpfe.
Bernd stieß Klaus in die Seite. „Hör auf zu lachen, Brüderchen. Das Leben is Kacke.“ Er stolperte zum Pool, in dem noch ein Rest Wasser stand. „Meinsdu, das reicht zum Sterben?“
Bevor Klaus reagieren konnte, ging Bernd die Stufen in das Becken hinunter. Auf der vorletzten rutschte er aus und klatschte brüllend in das knietiefe, eiskalte Wasser. Klaus und Professor Doktor Schult-Prieslett halfen ihm wieder heraus. Therese Winterfeldt kämpfte sich zum Beckenrand vor. Sie sah aus, als wollte sie ihren Lieblingssohn eigenhändig erwürgen. „Am besten gehst du jetzt zu Bett!“
Bernd schüttelte den Kopf; ein schmutziges Blatt fiel von seiner Glatze. Aus der Smokingjacke tropfte Wasser. „Ich muss jetzt meine Rede halten.“
Er wankte in die Halle zurück und baute sich vor dem Weihnachtsbaum auf. Zu seinen Füßen bildete sich eine bräunliche Pfütze. Er wartete, bis alle hereingekommen waren und das letzte Raunen verstummte.
„Einen schönen guten Abend, ihr Lieben!“ Nach dem unfreiwilligen Bad klang seine Stimme fast wieder normal, aber jeder konnte sehen, was mit ihm los war. „Wie hübsch, dass ihr alle da seid. Obwohl ... Wenn ich die Einladungen hätte schreiben dürfen, wären einige von euch bestimmt nicht da. Aber meine Gattin regelt solche Sachen ja immer bestens.“ Er schaute sich suchend um. „Wo ist denn mein Schatzebobbelchen?“
„Bernd! Hör sofort auf!“, rief Anette von der Empore.
Bernd warf ihr eine Kusshand zu. „Es wird Zeit, dir Dankeschön zu sagen, Zuckerbonbon.“
Anette schaute hilflos zu ihren Gästen herunter.
„Tu doch irgendwas!“, sagte Hedi zu Klaus.
„Warum? So lustig war’s hier noch nie.“
„Ich habe ein Gedicht für dich gemacht“, rief Bernd.
Anette rang sich ein Lächeln ab.
Bernd breitete die Arme aus. „O du! Mein welkes Blümelein. / Möchtest gern eine Dame sein. / Selbst mit teuren Kleiderlein / wird es dir misslingen. / Und auch ohne Kleiderlein / ist dein Aussehn nicht mehr fein. / Deshalb muss ich hier besingen ...“
Therese Winterfeldt beendete den Vortrag ihres Sohns mit einer Ohrfeige. Anette stürzte weinend davon. Gerlinde half Bernd die Treppe hinauf. Die Silvesterfeier endete eine halbe Stunde vor Mitternacht.
„Mir ist kalt“, sagte Klaus, als er mit Hedi zum Auto ging.
„Selbst schuld.“
Hedi stellte den leeren Korb in den Kofferraum. Klaus ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Als Hedi losfahren wollte, beugte er sich zu ihr und küsste sie. „Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich ...“
„Ich mag es nicht, wenn du dich betrinkst!“
„Und was hast du an Heiligabend gemacht, hm?“
„Dein Hemd ist klitschnass.“
„Ich hab ja auch gerade meinem Bruder das Leben gerettet.“ Er ließ sie los und lehnte sich zurück. „Nicht mal gescheit das Wasser aus dem Pool lassen können diese Banker.“
Bevor Hedi die Autobahn erreicht hatte, war er eingeschlafen.
Vor dem Haus fand Hedi keinen Parkplatz und stellte den Opel einen Block entfernt ab. Als Klaus und sie zu ihrer Wohnung gingen, begrüßten die Offenbacher das neue Jahr. Überall stiegen Leuchtkugeln und Raketen in den Himmel, Böller krachten; zwischen den Häusern sammelte sich schwefliger Dunst.
„Frohes Neues!“, riefen die Leute.
„Frohes Neues!“, rief Klaus zurück.
Als sie in ihre Straße einbogen, blieb Hedi erschrocken stehen. „Da ist jemand in unserer Wohnung!“
Klaus zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist Sascha früher heimgekommen.“
„Aus unserem Wohnzimmerfenster fliegen Raketen!“
„Das sind
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