Die Wassermuehle
du mir etwas?“
„Was denn?“
„Bevor sie den Sarg zunageln, leg mir bitte das Bild rein, das im Wohnzimmer über dem Kamin hängt. Als kleine Erinnerung.“
Hedi sah angestrengt zur Scheune hinüber. Zwei Hühner scharrten gackernd im Dreck.
„Und mein Haar würde ich gern offen tragen. Die Nadeln drücken immer so.“
„Ach, Tante. Ich ...“
Juliette erhob sich mühsam von der Bank. „Ich habe mit Elli zusammen Forellen geräuchert. Magst du welche?“
„Gern.“
„Äpfel habe ich auch noch für dich. Und eingeweckte Kirschen, und Socken für deinen Mann und die Kinder.“
„Das ist lieb von dir. Danke.“
Juliette hielt sich am Rosengitter neben dem Eingang fest. „Zum Pulloverstricken hatte ich diesen Winter leider keine Zeit.“
Hedi nahm Juliettes Arm. „Der nächste Winter kommt bestimmt.“ Es fiel ihr schwer, dabei zu lächeln.
Juliette schloss die Haustür auf. „Hoffentlich nicht allzubald. Meine Kartoffeln und Möhren will ich vorher noch ernten.“ Sie zwinkerte Hedi zu. „Ich habe einen Napfkuchen gebacken. Den hast du als Kind doch immer so gemocht.“
Als sie später am Kamin im Wohnzimmer saßen, war Juliette wieder ganz die Alte. Sie erzählte voller Begeisterung von den Plänen, die Ellis Sohn Uwe mit der alten Gärtnerei hatte, und dass sie dieses Jahr ein Beet mit rotgelb gestreiften Tomaten anlegen würde. Vom Sterben war keine Rede mehr.
Zwei Obststiegen vor sich her balancierend, schloss Hedi abends die Wohnungstür auf. Sie tastete nach dem Lichtschalter und stolperte über ein Paar Schuhe, das mitten im Flur lag. Die oberste Lage Äpfel polterte zu Boden und rollte unter den Garderobenschrank.
„Dominique! Sascha! Könnt ihr gefälligst eure Schuhe wegstellen?“ Hedi setzte die Kisten ab und suchte die Äpfel zusammen. Es war merkwürdig still in der Wohnung. Sie schaute in allen Zimmern nach; es war niemand zu Hause. Aus den herumliegenden Essensresten in der Küche schloss sie, dass sich ihre Familie von Hamburgern und Pommes frites ernährt hatte. Anscheinend war auch Ralf zu Besuch gewesen. Zumindest legten zwei leere Bierflaschen und ein voller Aschenbecher die Vermutung nahe. Hedi klappte eine aufgeschäumte Plastikschale auseinander und betrachtete nachdenklich den Inhalt. Sie konnte sich an kein Ereignis erinnern, das ihre Tochter oder ihren Sohn jemals dazu gebracht hätte, einen BigMac kalt werden zu lassen. Das ließ nur einen Schluss zu! Hedi suchte nach dem Telefon und rief auf der Entbindungsstation im Stadtkrankenhaus an.
Der Arzt gratulierte ihr zu einer strammen Enkelin. „Ein bisschen holterdiepolter ging’s ja schon, aber Mutter und Kind sind wohlauf. Ich wusste gar nicht, dass Sie schon Oma werden, Schwester Hedi!“
„Werde ich auch nicht.“ Hedi legte auf, bevor er etwas erwidern konnte. Sie stieg über Juliettes Obstkisten, zog den Schlüssel ab und rannte die Treppe hinunter.
Corinna war erschöpft, aber glücklich, Dominique saß mit unbeteiligter Miene in einer Zimmerecke und Sascha hatte vor Aufregung rote Ohren. „Natascha ist das schönste Kind, das ich je gesehen habe!“
„Und gute zwei Wochen zu früh dran“, sagte Klaus. Er sah aus, als hätte er das Baby höchstpersönlich zur Welt gebracht. „Wir hatten bei jeder roten Ampel Angst, dass es losgehen könnte.“
„Vor allem du, Paps“, ergänzte Dominique.
Hedi deutete grinsend auf Klaus’ Füße, die in ausgelatschten Filzpantoffeln steckten. „Es muss ja arg pressiert haben, wenn du nicht mal Zeit hattest, andere Schuhe anzuziehen.“
„Es gab Wichtigeres zu tun!“, sagte Klaus beleidigt. Alle lachten.
Die Tür ging auf, und eine etwa vierzigjährige Frau kam herein. Sie hatte rotes Haar und erinnerte Hedi ein bisschen an Brigitte.
„Mama!“, rief Corinna überrascht.
„Ach, mein Mädchen! Es tut mir ja alles so leid.“ Weinend schloss sie Corinna in ihre Arme. Hedi gab ihrer Familie ein Zeichen. Klaus und Dominique standen auf; Sascha schüttelte trotzig den Kopf.
„Wir kommen dich morgen wieder besuchen“, sagte Hedi.
Corinna befreite sich aus der mütterlichen Umarmung. „Danke für alles, Frau Winterfeldt. Und Ihnen auch, Herr Winterfeldt.“
„Schon gut“, murmelte Klaus verlegen.
Sascha küsste Corinna zärtlich auf die Stirn. „Ich komme nachher noch mal vorbei, ja?“
Corinnas Mutter gab Hedi und Klaus die Hand. „Ich hoffe, meine Tochter hat Ihnen nicht zu viele Umstände gemacht. Ich hätte sie längst heimgeholt, aber mein
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