Die Wassermuehle
Mann ... Na ja, Sie wissen schon.“
Am folgenden Tag verbrachte Hedi einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit dem Beantworten neugieriger Fragen. Sascha stritt sich mit Corinna, weil sie das Baby nicht Natascha, sondern Iris-Angelika nennen wollte. Am Nachmittag kamen der stolze Großvater, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen zu Besuch. Tags darauf fand sich Corinnas Ex-Freund mit einem Strauß Blumen und einem rosa Teddybären am Wochenbett ein.
Einen Tag nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus holte Corinna ihre Sachen aus Saschas Zimmer ab, und Hedi sah ihren Sohn seit dem Ende seiner Grundschulzeit zum ersten Mal weinen.
K APITEL 15
D er fünfte April war ein warmer, sonniger Frühlingstag. Hedi hatte Frühdienst, und als sie mittags nach Hause ging, nickte sie der Lächelnden Frau gutgelaunt zu. Am Morgen hatte Brigitte angerufen und sich für ihre falsche Verdächtigung entschuldigt. Eine der Putzfrauen hatte an Silvester ein Gespräch zwischen ihr und Dr. Bechstein belauscht und sich den Rest offenbar zusammengereimt, als er auf ihre versteckten Andeutungen gereizt reagierte.
„Ich verstehe wirklich nicht, warum Thorsten mir das nicht früher gesagt hat. Er wusste doch, dass ich dir die Schuld gab.“
„Vergiss es“, sagte Hedi. Sie redeten übers Wetter, über ihre Kinder und Brigittes neuen Arbeitsplatz, aber das Gefühl früherer Vertrautheit wollte sich nicht mehr einstellen. Trotzdem versprach Hedi, Brigitte auf jeden Fall zu besuchen, falls sie irgendwann einmal in München sein sollte. Sie hatte den Eindruck, dass ihre ehemalige Kollegin nicht sehr glücklich war, aber da sie von sich aus nichts sagte, fragte sie nicht nach.
Als Hedi nach Hause kam, waren die Kinder unterwegs und Klaus schon zum Spätdienst gegangen. Sie hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu reden, und beschloss spontan, Vivienne zu besuchen.
Es dauerte eine Weile, bis auf Hedis Klingeln geöffnet wurde. Vivienne trug einen farbverschmierten Malerkittel und hatte ihr Haar mit Clipsen zusammengesteckt. „Du?“, fragte sie entgeistert.
Hedi wurde rot. „Hattest du jemand anderen erwartet?“
„Ich hatte gar keinen erwartet.“
„Entschuldige. Wenn ich ungelegen komme ...“
„Ach was.“
„Du siehst aber aus, als stecktest du mitten in der Arbeit.“
Vivienne zwinkerte ihr zu. „Alles nur Tarnung, meine Liebe.“ Sie lupfte ihren Kittel. Darunter trug sie ein grünes Seidennachthemd.
Lachend folgte Hedi ihr ins Wohnzimmer. Die neuen Möbel waren immer noch nicht eingetroffen. Vivienne ging in die Küche; Hedi sah aus dem Fenster. Jenseits der Straße glänzte der Main.
Vivienne kam mit einer Kanne Tee, einer Zuckerdose und zwei weißen Kaffeetassen herein. „Stell dir vor: Ich muss aus der Wohnung raus. Mein Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet.“
Hedi setzte sich. „Hast du denn keinen Kündigungsschutz?“
„Mein Zeitmietvertrag endet am 15. Juni. Ich war sicher, dass er verlängert werden würde.“
„Aber bis dahin hast du doch bestimmt was Neues gefunden. Wohnraum für eine kinderlose und noch dazu vermögende Künstlerin: Du bist der Traum eines jeden Vermieters!“
„Na ja ...“
„Was ist mit deinem neuen Freund? Kannst du nicht bei ihm unterkommen, bis du eine passende Bleibe gefunden hast?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann beim Malen keinen Mann gebrauchen. Außerdem hat er nicht genug Platz für meine Möbel.“
Hedi sah sich verblüfft in dem fast leeren Raum um. „Aber es sind doch kaum noch welche da.“
Vivienne goss Tee ein. „Mein Antiquitätenhändler ist ein Depp.“
„Du solltest ihm dankbar sein. Wenn du hier rausmusst, kann er gleich an deine neue Anschrift liefern.“ Sie deutete lächelnd auf die Tassen. „Stilbruch, oder?“
Vivienne setzte sich. „Wenn es dich stört, kann ich ...“
„Lass mal“, fiel Hedi ihr vergnügt ins Wort. „Ich fange langsam an, mich bei dir heimisch zu fühlen.“
* * *
Als Klaus zum Spätdienst kam, fand er nicht einmal Zeit, einen Blick in die Zeitung zu werfen.
„Ihr müsst mal in die Bahnhofstraße fahren“, sagte Michael und gab ihm einen Zettel. „Die Dame hier hat soeben mitgeteilt, dass sie ihren Nachbarn seit Wochen nicht mehr gesehen hat. Und dass es im Treppenhaus merkwürdig riecht.“
Klaus studierte den Zettel. „Hartmut Möbius, 1927 geboren, mhm. Denkst du nicht, es wäre besser, wenn ich mit Stampe ...“
„Nein. Da muss sie durch.“
Dagmar kam herein. „Wer muss wo durch?“
Klaus deutete lächelnd
Weitere Kostenlose Bücher