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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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Abendessen übt frau sich in der neuesten, wissenschaftlich geprüften Streittechnik mit ihrem Ehemann respektive Lebensabschnittsgefährten, bevor sie sich in ein aufregendes Nachtleben stürzt, um sich anderntags frisch und ausgeruht in ihrem verantwortungsvollen Job sechs Beine auszureißen.“
    Vivienne wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich wusste gar nicht, dass du so leidenschaftliche Plädoyers halten kannst.“
    „Ich habe diese verdammten Heucheleien satt, Herrgott noch mal!“
    Vivienne grinste. „Weißt du was? Ich auch.“ Sie warf die Annabella in den Papierkorb. „Zufrieden, Hedwig Courths-Winterfeldt?“
    „Nenn mich nicht so!“
    „Wer austeilt, muss auch einstecken können, oder?“
    „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken.“
    „Sehe ich etwa aus, als wäre ich gekränkt?“
    Hedi zeigte auf den Papierkorb. „Na ja, irgendwo ist das schon deine Welt, oder?“
    Vivienne schüttelte energisch den Kopf. „Die Farben auf der Leinwand: Das ist meine Welt. Die Malerei nötigt mich auf die beste Weise, das Maß zu erkennen, nach dem und zu dem mein Innerstes gebildet ist. Alles andere ist bloß Beiwerk.“ Sie lächelte. „Das heißt aber nicht, dass man das Beiwerk nicht appetitlich gestalten könnte. Noch etwas Tee?“
    * * *
    Anfang März nahm Hedi sich einen Tag frei und fuhr zu ihrer Tante in den Odenwald. Vom Schnee waren nur noch harschige Reste geblieben, und das Wasser des Mühlbachs schwappte bis auf die alte Brücke hinauf. In der Wiese vor der Eichmühle blühten Hunderte von blauen und gelben Krokussen.
    Juliette war im Garten zugange. Sie hatte eine karierte Kittelschürze an und winkte Hedi zu sich. Ihr runzeliges Gesicht war grau, und in ihren Augen fehlte das vergnügte Funkeln. Hedi erschrak, als sie sie sah. Sie streckte ihr beide Hände entgegen. „Hallo, Tante Juliette.“
    „Hedilein! Wie ich mich freue, dass du mich besuchst.“
    „Ich freue mich auch, Tante.“ Hedi schämte sich, dass sie es nicht geschafft hatte, früher vorbeizuschauen. Und dass sie immer noch nicht mit dem Prinzesschen über Juliettes Zukunft gesprochen hatte. Alle Schönfärberei nützte nichts: Juliette wurde bald siebenundachtzig, und es war unverantwortlich, sie länger allein hier draußen wohnen zu lassen. Aber was sollte sie tun? Freiwillig würde ihre Tante niemals aus der Eichmühle weggehen.
    „Was schaust du denn so?“, fragte Juliette lächelnd.
    Hedi küsste sie auf die Stirn. „Du siehst müde aus.“
    „Du auch, Kind.“
    „Im Krankenhaus haben sie immer noch keinen Ersatz für meine Kollegin gefunden, die letzten Monat gekündigt hat. Es war schwierig für mich, überhaupt einen Tag freizubekommen.“
    Juliette griff nach ihrem Stock, der am Gartenzaun lehnte. „Wohnt die schwangere Freundin deines Sohns noch bei euch?“
    Hedi nickte. „Mitte des Monats ist es soweit. Ich habe keine Ahnung, wo ich in unserer Wohnung ein Baby unterbringen soll. Die Kinder müssen morgens ausgeruht in die Schule und Klaus und ich nach dem Nachtdienst irgendwann schlafen.“
    „Das wird schon. Wirst sehen.“ Juliette deutete mit dem Stock auf die verwitterte Bank neben dem Hauseingang. „Wollen wir uns ein bisschen in die Sonne setzen?“
    „Wenn es dir nicht zu kalt ist?“
    „Ach, woher.“ Juliette hakte sich bei Hedi unter. Langsam gingen sie vom Garten zum Haus. Mit einem Seufzer ließ sich Juliette auf der Bank nieder. „Deine alte Tante spürt das Wetter in den Knien, Hedilein.“
    Hedi setzte sich neben sie. Auf dem bemoosten Schindeldach über ihnen sang eine Amsel. In dem Steintrog neben der Haustür blühten Primeln und Vergissmeinnicht. „Es ist herrlich hier draußen.“
    „Wenn die Sonne scheint“, sagte Juliette.
    Hedi nahm ihre Hände. „Als Kind war es wunderbar für mich, bei dir in der Eichmühle die Sommerferien verbringen zu dürfen.“
    Juliette lächelte. „Du hast es gehasst, Johannisbeeren zu pflücken.“
    „Man bekam schwarze Hände davon. Außerdem wurde der Topf nie voll.“
    „Das Gelee hast du pur gegessen.“
    „Da war ja auch genügend Zucker dran.“
    „Ich glaube, ich werde den Sommer nicht mehr erleben.“
    Hedi ließ ihre Hände los. „Du redest Unsinn.“
    Juliette schüttelte den Kopf. „Alte Leute spüren so was, Hedilein. Was wirst du mit meiner Mühle machen? Abreißen? Oder verkaufen?“
    Hedi spürte, wie ihr Hals eng wurde. „Ich bin sicher, dass ich noch jahrelang Zeit habe, darüber nachzudenken.“
    „Versprichst

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