Die Wassermuehle
Wahrscheinlich war’s so.“ Vivienne stand auf. „Ich koche uns einen Tee, ja?“
Nach einigen Minuten kam sie mit einer Kanne und zwei Tassen zurück. Hedi sah sie lächelnd an. „Ich habe eine Idee, wie wir das mit deinen Aktien und den offenen Rechnungen regeln könnten.“
K APITEL 22
„D u vermisst deine Frau sehr, nicht wahr?“, fragte Dagmar. Sie fuhr mit Klaus zusammen Frühstreife in der Innenstadt.
„Ach was“, entgegnete er. „Ich fange an, ungemachte Betten zu lieben.“
„Was sagen denn deine Kinder dazu?“
„Montags: Das Spiegelei ist angebrannt, Papa. Dienstags: Das Rührei ist angebrannt, Papa. Mittwochs: Wir geh’n zu McDonalds.“
„Mal ehrlich: Was hält dich noch hier?“
Klaus gähnte verstohlen. „Unser Chef wird nächstes Jahr pensioniert. Du glaubst doch nicht, dass ich mir das entgehen lasse? Außerdem fährt mich meine nette Kollegin ab und zu im Wald spazieren.“
Dagmar lachte. „Bei aller Liebe: Mein Pensionsalter werde ich im Vierten Revier nicht erreichen.“
„Du willst Karriere machen, stimmt’s?“
„Im Streifenwagen kannst du nichts verändern. Das geht erst ein paar Etagen höher.“
Klaus rieb sich die Augen. „Mir gefällt es ganz gut in meinem Streifenwagen. Wenn die höheren Etagen mir nur meine Ruhe lassen.“
Dagmar warf ihm einen verstohlenen Blick zu. „Ihr solltet euch bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen und in Ruhe über alles reden. So oder so.“
„Was meinst du mit So oder so?“
„Meine Mutter hat sich aus dem Staub gemacht, als ich vier war.“
Er sah sie überrascht an. Dagmar hielt an einer roten Ampel. „Meinen Daddy hat es kalt erwischt. Er hatte keine Ahnung, was er mit einem Vorschulkind anfangen sollte. Er hat’s ziemlich schnell gelernt.“
„Und deine Mutter?“
„Habe ich in meiner ganzen Kindheit nicht mehr gesehen.“
„Das hätte Hedi nicht gemacht.“
„Ein Grund mehr, euch auszusprechen.“
„Ich könnte keine fünf Minuten mit ihrer durchgedrehten Freundin unter einem Dach leben.“
„Dann bitte sie, woanders hinzuziehen.“
„Ich habe keine Lust, jeden Tag bis in den Odenwald zu gurken.“
„Dann lass dich nach Darmstadt versetzen.“
„Du redest wie meine Frau.“
Die Ampel sprang auf Grün. Dagmar fuhr weiter. „Wenn sie recht hat, hat sie recht.“
„Schon klar.“
„Liebe Zeit, Klaus! Du schläfst zu wenig, du trinkst zu viel, und du hast eine Gesichtsfarbe wie ein Geist. Warum tust du so, als ob alles in bester Ordnung wäre?“
„Den da vorn knöpfen wir uns mal vor!“ Klaus schaltete das Haltesignal ein. Der BMW vor ihnen wurde langsamer und stoppte am Straßenrand. Dagmar hielt mit dem Streifenwagen direkt dahinter; sie stiegen aus.
„Können Sie mir sagen, warum Sie am helllichten Tag die Nebelschlussleuchte eingeschaltet haben?“, fragte Klaus den Fahrer.
Der Mann zog schuldbewusst den Kopf ein. „Ei, ich war heut früh in Bayern, und da war halt Nebel.“
„Am Nordpol liegt Eis, und Sie laufen hier trotzdem nicht im Pelzmantel rum. Machen Sie das Ding aus!“
„Der kann nichts dafür, dass deine Frau dich verlassen hat“, sagte Dagmar, als sie weiterfuhren.
Klaus warf ihr einen gereizten Blick zu. „Könnten wir über etwas anderes reden?“
Dagmar lächelte. „Hättest du nicht Lust, mal mit zum Dienstsport zu kommen? Ein kleines Waldläufchen würde dir bestimmt guttun.“
„Na ja ...“
„Hast du Angst, dass ich dir davonrenne?“
„Dich hänge ich doch allemal ab.“
„Ich freu mich drauf.“
„Orpheus 18/5 von 18/1 kommen!“
„18/5 hört“, meldete sich Klaus.
„Status zweiundsechzig in der Senefelder, Höhe Liebigstraße.“
„Verstanden.“ Klaus seufzte. „Ich hasse Verkehrsunfälle vor dem Frühstück.“
Dagmar lachte. „Du hasst Verkehrsunfälle auch nach dem Frühstück, oder?“
Sie hatten die Verkehrsunfallaufnahme gerade beendet, als ein Bankraub in der Innenstadt gemeldet wurde. Am Tatort wimmelte es von Polizisten. Dagmar und Klaus wurden zur Nachbarschaftsbefragung eingeteilt. Sie gingen von Haus zu Haus, aber niemand hatte irgendetwas gehört oder gesehen. Im Treppenhaus eines mehrstöckigen Mietshauses wurden sie von einer älteren Türkin angesprochen. Sie stand vor ihrer Wohnungstür im dritten Stock und zeigte nach oben. „Sie wollen bestimmt zu die Söngül? Schlechtes, ganz schlechtes Frau!“
„Können Sie von Ihrer Wohnung aus auf die Straße sehen?“, fragte Klaus.
Die Türkin schüttelte den Kopf.
Weitere Kostenlose Bücher