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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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Vivienne geärgert haben mochte: Klaus hatte kein Recht, sie zu beleidigen. Ja, sie war anstrengend und hatte ihre Macken und Eigenheiten, aber wer hatte die nicht? Dass sie zumindest ihre Freundschaftsbeteuerung erst meinte, daran hegte Hedi keinen Zweifel mehr. Immerhin hatte sie nicht nur ihr Luxusleben, sondern sogar berufliche Kontakte und Verpflichtungen aufgegeben. Und dass sie so gut wie keine gemeinsamen Interessen und ziemlich konträre Lebensauffassungen hatten, hatte sie ja vorher gewusst.
    „Wir beide sind der Dualismus der Welt, Hedi. Träumen und Wachen, Trauern und Lachen, Denker und Kind, Zeit, die verrinnt.“
    Viviennes Lebenslust und die Unbekümmertheit, mit der sie die Dinge anging, machten es unmöglich, ihr längere Zeit böse zu sein. Es gab fast nichts, zu dem ihr nicht irgendein schlauer Spruch eingefallen wäre.
    „Die wahren Optimisten sind nicht überzeugt, dass alles gutgehen wird, aber sie sind überzeugt, dass nicht alles schiefgehen wird, Hedilein. Außerdem wusste schon Carl Fürstenberg, dass der Optimist und der Pessimist einen gemeinsamen Nenner haben: den Mist. Und der liegt ja hier tagtäglich vor unseren Augen, oder? Also hör auf, dir Sorgen über hässliche Holzpilze zu machen.“
    Dass Hedi zum ersten Mal in ihrer Ehe bewusst eine Entscheidung gegen Klaus getroffen hatte, machte sie bei aller Traurigkeit und Wut auch stolz. Vivienne hatte recht: Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde die Eichmühle jetzt einem seelenlosen Spekulanten gehören, der sie entweder kaputtsanieren oder meistbietend verhökern würde. Und zumindest darin war sich Hedi mit Vivienne einig: Ein solches Schicksal hatte das schöne alte Haus nicht verdient.
    Vivienne stand gedankenverloren vor einer großen weißen Leinwand. Sie hatte ihren alten Malerkittel an und drehte Hedi den Rücken zu. Es roch nach Firnis und nach dem Heu, das über der neu eingezogenen Zwischendecke lagerte. „Wartest du auf deine kreativen Kräfte?“
    Vivienne fuhr herum. „Hedi! Hast du mich erschreckt!“
    „Tut mir leid. Das wollte ich nicht.“
    Vivienne zeigte auf die leere Leinwand. „Ich habe eine Idee, aber ich weiß nicht, wie ich sie umsetzen soll.“
    Hedi setzte sich auf einen mit Farbspritzern verunzierten Hocker und ließ ihren Blick umherschweifen. Gläser mit runden und flachen, dicken und dünnen Pinseln, Fläschchen, Paletten, Spachtel, Streichmesser und Schwämmchen bedeckten einen Tisch an der Stirnseite des Raums. Auf mehreren Staffeleien standen begonnene, an den Wänden lehnten fertiggestellte Gemälde. Neben dem Durchgang zu Hedis Töpferwerkstatt waren unterschiedlich große, auf Keilrahmen gezogene Leinwände gestapelt. Die hohe Decke und die großzügige Verglasung zwischen den Fachwerkbalken gaben dem Raum Luft und Weite. Draußen sah Hedi Tim und Tom herumstromern. Sie durfte nachher nicht vergessen, ihnen frisches Wasser hinzustellen.
    „Meine Schwägerin kommt morgen zu Besuch“, sagte sie. „Sie hat Post von deiner Agentin bekommen und möchte dich kennenlernen. Ich nehme an, dass sie dich um das eine oder andere Objekt erleichtern wird.“
    Vivienne drückte blaue und rote Ölfarbe auf eine Palette. „Soso.“
    „Außerdem beabsichtigt sie, ihren Sprössling für einige Tage bei uns unterzubringen.“
    Vivienne lachte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass du den Sprössling ebensogut leiden kannst wie den Rest der Familie?“
    „Christoph-Sebastian ist das schrecklichste Kind, das ich kenne. Und ich kenne eine Menge.“
    Vivienne vermischte die Farben und betupfte die Leinwand mit violetten Punkten. „Warum hast du nicht einfach Nein gesagt?“
    Hedi zuckte die Schultern. „Was soll das werden, was du da machst?“
    „Als ich gestern am Bach entlanggegangen bin, hatte ich eine faszinierende Impression. Ich will versuchen, sie in amorphe Felder zu transferieren. Wann wirst du deine Werkstatt einweihen?“
    „Wenn ich Zeit dazu habe.“
    „Zeit hat man nicht. Zeit nimmt man sich.“
    „Und wer macht derweil die Hausarbeit?“
    Vivienne trat von der Leinwand zurück. „Ach, wenn die Tage je mir wiederkehrten, die nutzlos mir entschwunden sind! Du würdest, töricht’ Menschenkind, nur anders, doch kaum besser sie verwerten. Die Hausarbeit läuft dir nicht weg. Geh rüber und fang endlich an.“
    „Ich habe sowieso alles vergessen.“
    „Wetten, dass nicht?“, sagte Vivienne lächelnd und wandte sich wieder ihrer Leinwand zu.
    * * *
    Um kurz nach acht am nächsten Morgen

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