Die Wassermuehle
„Ich hoffe, du hast deine dieselbetriebene Rostbeule nicht im Halteverbot geparkt.“
Sie spielte mit seinem Haar. „Warum?“
„Es könnte länger dauern.“
Ihre Jeans glitt zu Boden. Hedi spürte seine Hand und schloss die Augen. Sie hatte ihn mehr vermisst, als sie es sich eingestanden hatte. „Bitte komm mit, ja?“
Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer. „Aber sicher komme ich mit.“
„In den Odenwald?“
„Ins Bett.“
Sie sah ihn an. „Und danach?“
„Habe ich Dominique versprochen, die Stereoanlage und den Computer abzubauen.“
„Klaus, ich ...“
Er verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Und dann hatte sie erst einmal keine Lust mehr, Fragen zu stellen.
* * *
Fünf Tage nach Ferienbeginn rief Anette an. „Guten Tag, liebste Hedwig! Ich wollte mal hören, wie es dir auf dem Land so ergeht.“
„Tag, Anette. Ist in New York Sommerschlussverkauf?“
„Hallo? Ich verstehe dich so schlecht. Hast du die Handwerker im Haus?“
„Nur meine Tochter.“
„Wie bitte?“
„Sie misst gerade die Leistungsfähigkeit der Elektroinstallation.“
„Was? Oh, jetzt ist es besser.“
„Wahrscheinlich ist die Hauptsicherung rausgeflogen.“
„Du, Hedwig, ich bin ...“
„... in der Bredouille.“
„Würde es dir sehr viele Umstände bereiten, wenn Christoph-Sebastian ein paar Ferientage bei dir verbringt?“
„Ja.“
„Aber Hedwig! Wie kannst du nur so herzlos sein! Christoph-Sebastian hat doch jetzt sein erstes Schuljahr hinter sich und ...“
„... die Schule muss abgerissen werden.“
„Was erzählst du da?“
„Wie viele Lehrer hat er ins Grab gebracht?“
„Ein Kind braucht für eine gesunde Entwicklung ab und zu ein anderes Umfeld, und ich dachte ...“
„Ruf Klaus an.“
„Das habe ich bereits. Er muss arbeiten. Sag mal: Wollt ihr euch scheiden lassen?“
„Ich habe nicht vor, unsere Ehe am Telefon zu diskutieren.“
„Es war nur eine harmlose Frage, Hedwig.“
„Solange er mich nicht mit Gedichten beglückt, gebe ich uns noch eine Chance.“
Anette schniefte. „Du bist gemein.“
„Entschuldige. Alles wieder im Lot bei euch?“
„Deshalb rufe ich ja an. Bernd und ich möchten gerne für ein paar Tage wegfahren, um ein bisschen auszuspannen.“
„Verstehe.“
„Du würdest mir helfen, meine Ehe zu retten.“
„Mhm.“
„Heißt das: Ja?“
„Wann fahrt ihr?“
„Übermorgen. Danke, Hedwig. Ach ja, noch was: Wie hieß gleich diese Künstlerin, von der du auf unserer Silvesterparty erzählt hast?“
„Vivienne Belrot.“
„Dann ist sie es doch!“
„Wer ist was?“
„Vor einigen Tagen bekam ich Post von einer Frau von Eschenberg, Inhaberin einer renommierten Kunstagentur in Paris. Sie empfiehlt mir, Bilder von Frau Belrot zu kaufen. Wegen der Wertsteigerung.“
„Antoinette von Eschenberg ist Viviennes Agentin.“
„Ihr duzt euch?“
„Ich kenne die Dame nicht mal. Wie soll ich sie dann duzen?“
„Ich meinte die Künstlerin Belrot.“
„Wir wohnen zusammen. Vivienne hat einen Teil der Scheune in ein Atelier umbauen lassen. Und ich habe eine Töpferwerkstatt gleich nebenan. Hat Klaus dir nichts davon erzählt?“
„Oh! Das muss ich mir anschauen. Wir kommen gleich morgen früh.“
Bevor Hedi etwas erwidern konnte, hatte ihre Schwägerin aufgelegt.
Hedi verließ das Haus und ging zum Atelier, um Vivienne über den bevorstehenden Besuch zu informieren. Das neu eingedeckte Dach glänzte in der Sonne; auf dem First thronte der Wetterhahn, den Hedi zum Abschied geschenkt bekommen hatte. Sein Pfeil zeigte nach Nordwest auf die Hügel und Wälder, hinter denen Offenbach lag. Eine Stunde lang war sie glücklich gewesen. Dann hatte Klaus einfach Nein gesagt.
„Ich kann dort nicht leben, bitte versteh mich doch.“
Sie verstand ihn nicht. Und seine vorgeblich vernünftigen Argumente wollte sie genausowenig hören wie seine praktischen Überlegungen und finanziellen Erwägungen. Und seine abfälligen Äußerungen über Vivienne schon gar nicht. Dass ihre Diskussion nicht in einem lautstarken Streit endete, war nur der rechtzeitigen Rückkehr von Dominique zu verdanken. Auf der Fahrt in den Odenwald hörte Hedi sich ihre Schimpfkanonaden über den miesen Axel und ihre Schwärmereien über den süßen Peter an, während sie gegen die Tränen kämpfte.
Sie trat sich die staubigen Schuhe ab und öffnete die Tür zum Atelier, die in das ehemalige Scheunentor eingelassen war. Sosehr sie sich seit ihrem Umzug auch über
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