Die Wassermuehle
fragte Hedi ungläubig.
Anette lächelte ihr durch das offene Fenster zu. „Warum nicht? Ehemänner gehen doch alle irgendwann fremd.“
„Meiner nicht!“
„Träum weiter, Schwägerin.“ Anette startete den Motor und trat probeweise aufs Gas. „Bernd und ich haben ein kleines Arrangement. Wenn er sich daran hält, sehe ich keinen Grund, warum ich mir nicht einen Urlaub mit ihm gönnen sollte. Ich denke, ich habe ein gutes Geschäft gemacht.“
„Mit Bernd?“
„Mit Frau Belrot. Ihre Bilder sind bestimmt bald unbezahlbar.“ Mit durchdrehenden Reifen brauste sie vom Hof und hüllte Hedi in eine Staubwolke.
„Verdammter Bengel! Habe ich dir vorhin nicht gesagt, dass du deine Schmutzfinger von meinen Stiefmütterchen lassen sollst?“, schallte es aus der Gärtnerei. Auf dem Dach der alten Mühle saß eine Amsel und sang.
Kopfschüttelnd ging Hedi ins Haus.
K APITEL 24
V ivienne und Dominique verstanden sich ausgezeichnet. Sie frühstückten gemeinsam gegen elf und waren sich darin einig, dass Essen und Tischabräumen nichts miteinander zu tun hatten. Genausowenig wie Essen und Einkaufen, Essen und Kochen oder Essen und Geschirrspülen. Dass ihre Handys weder im Haus noch auf dem Hof funktionierten, werteten sie als Angriff auf ihre Menschenwürde. Die Benutzung von Bad und Toilette regelten sie sportlich und fair: An geraden Tagen hatte Vivienne, an ungeraden Dominique den Vortritt.
Hedis Befürchtung, dass Dominiques Musikgeschmack bei einer sensiblen Künstlerin Migräneanfälle auslösen könnte, erwies sich als unbegründet. Sobald Dominique ihre Stereoanlage in Betrieb nahm, verschwand Vivienne in ihrem Meditierzimmer unterm Dach. Sie behauptete, sie schließe Risse in ihrem Aurafeld. Warum sie dafür einen Internetanschluss benötigte, verriet sie nicht. Hedi googelte auf Dominiques Computer Psychometrie und aurische Emanationen und frischte ihre Englischkenntnisse mit Studies of the Human Aura auf, die sie beim Staubsaugen unter der Annabella fand. Dem Geheimnis von Viviennes Meditierkunst, die den ohrenbetäubenden Lärm von Kreissägen, Buschtrommeln und Presslufthämmern ausblenden konnte, kam sie trotzdem nicht auf die Spur. Am Ende der ersten Woche drängte sich ihr der Verdacht auf, dass die anspruchsvolle Künstlerin bloß nicht zugeben wollte, dass sie auch in der Internetnutzung mit Dominique konform ging, die sich halbe Tage lang in sinnfreien Chatrooms oder bei Facebook herumtrieb.
Ins Grübeln kam Hedi im Laufe der zweiten Woche. Vivienne lieh sich gleich an drei Tagen den Rostbus aus, um mit ihrer Meditationskiste ins Grüne zu fahren, und aus Dominiques Zimmer erklangen plötzlich Gregorianische Gesänge.
Im Gegensatz zu Vivienne lernte Hedis Tochter den Unterschied zwischen Möhrenkraut und Petersilie innerhalb von Minuten. Es dauerte keine zwei Tage, bis sie statt Dill und Schnittlauch Anethum graveolens und Allium schoenoprasum aus dem Garten holte und erschüttert feststellte, dass ihre Mutter nicht einmal wusste, dass man aus Urtica dioica Brennnesselsuppe kochen konnte. Zum Wochenende jätete sie Unkraut wie eine Bäuerin, siebte mit frisch lackierten Fingernägeln Anzuchtserde durch, vermisste weder Computer noch Handy und gebrauchte häufig Sätze mit dem Wort Uwe.
„Stellt euch vor, Uwe will Blumen recyceln“, sagte sie zu Beginn der dritten Woche am Mittagstisch.
Hedi trug Kartoffeln und Frikadellen auf. „Jagt er sie durch den Häcksler und bastelt neue draus?“
„Mama, bitte!“
„Dann erkläre es mir, du Nachwuchsgärtnerin.“
„Uwe sagt, es ist schade, dass die Leute jedes Jahr ihre Fuchsia und Pelargonien wegschmeißen und ...“
„Pellawas?“, fragte Vivienne.
„Die botanisch korrekte Bezeichnung lautet Pelargonie. Dummbeutel sagen Geranie“, dozierte Dominique.
„Vorletzte Woche hättest du Pelargonie noch als lateinische Bezeichnung für Regenmantel durchgehen lassen“, sagte Hedi und stellte die Soße und eine Schüssel mit Salat auf den Tisch. „Mit extra viel Allium schoenoprasum . Zufrieden?“
„Das ist echt null witzig!“
„Ich hoffe, du hast nicht wieder Branntweinessig genommen“, sagte Vivienne.
„Nein. Leider war ich so leichtfertig, deinen Einkaufszettel ungeprüft Uwes Mutter mitzugeben. Die arme Elli musste bis nach Darmstadt fahren, um dein handgepresstes Olivenöl extra und den garantiert zwanzigjährigen Aceto Balsamico aus Modena aufzutreiben.“
Vivienne verzog das Gesicht. „Du ruinierst mit deinem Billigkram
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