Die Wassermuehle
sah aus wie ein abgebrochener BWL-Student. Vivienne ging zu ihm und küsste ihn auf die Stirn. Arm in Arm verschwanden sie im Haus. Christoph-Sebastian inspizierte das Cabrio.
Offenbar hatte Fabien außer BWL einige Semester Witzeerzählen belegt. Viviennes Gekicher schallte über den Hof bis in den Garten. Kurz nachdem es verstummt war, lief Hedi hinters Haus. Christoph-Sebastian folgte ihr.
„Mach gefälligst das Fenster zu!“, rief sie.
„Tun die bumsen?“, fragte Christoph-Sebastian.
Hedi lief rot an. „Nein. Tante Vivienne hat sich das Knie gestoßen.“
„Und wie kannst du das von hier unten sehen?“
„Vielleicht war es auch der Kopf.“
„Und warum muss sie dann das Fenster zumachen?“
„Das erkläre ich dir ein anderes Mal.“
Fabien verschwand, ohne das Atelier betreten zu haben, und Vivienne war so unausstehlich, dass Hedi es unterließ, sie zum Ergebnis des Gesprächs mit Antoinette von Eschenberg zu befragen. Ihre Laune besserte sich erst zum Wochenende, als ein gutgebauter junger Kunstmäzen in der Mühle eintraf. Er schaute sich interessiert Viviennes Bilder an und reiste am Sonntagmorgen nach dem Frühstück wieder ab.
Den restlichen Tag schloss sich Vivienne in ihrem Meditierzimmer ein. Hedi versuchte mehrmals, Klaus zu erreichen. In der Wohnung ging niemand ans Telefon, und sein Handy war wieder mal ausgeschaltet. Am Montagmorgen erwog sie, nach Offenbach zu fahren, aber als sie Christoph-Sebastians Lächeln sah, ließ sie es bleiben. Stattdessen half sie Vivienne, die Meditierkiste zum Auto zu tragen. Sie öffnete den Kofferraum und schüttelte den Kopf. „Ich fasse es nicht. Fünfundzwanzigtausend Euro und eine Schreibtischschublade fürs Gepäck.“
„Wir stellen sie auf den Beifahrersitz“, sagte Vivienne verärgert.
„Wo willst du eigentlich hin?“
„An die frische Luft. Zum Meditieren.“
„Warum machst du nicht einfach das Fenster auf, wenn du Frischluft brauchst?“
„Weil ich auf freie Räume angewiesen bin, um mein Bewusstsein für die Wahrnehmung feinstofflicher Dimensionen zu sensibilisieren.“
„Na dann.“
„Du willst mich nicht verstehen, oder? Meine Inspiration war noch nie so schlecht! Ich muss dringend zu mir selbst finden.“
„Du musst dringend zu deinem Geld finden.“
Vivienne stieg in den Wagen. „Auf diesem Niveau diskutiere ich nicht mit dir.“ Sie startete den Motor und brauste vom Hof.
Eine Stunde vor dem Abendessen kam sie zurück und überreichte Hedi mit einem feierlichen Gesichtsausdruck eintausend Euro. „Eine kleine Anzahlung. Antoinette hat sie vorfinanziert. Sie sagt, dass es im Moment Wahnsinn wäre, die Papiere zu verkaufen. Aber sie ist überzeugt davon, dass es in zwei bis drei Monaten besser aussieht.“
„Bis dahin sind wir zwangsgepfändet“, sagte Hedi. Klaus hatte sich immer noch nicht gemeldet.
K APITEL 25
T ags darauf hatte Vivienne blendende Laune. Nach einem ausgiebigen Frühstück zusammen mit Dominique zog sie ihren Malerkittel an und verschwand pfeifend im Atelier.
Als Hedi am frühen Nachmittag zu ihr kam, tupfte sie mit einem Borstenpinsel gelbe und weiße Farbe auf eine blaugrau lasierte, große Leinwand. „Blumenwiese bei Sonnenuntergang“ , sagte sie lächelnd.
„Soso“, sagte Hedi.
„Was gefällt dir nicht daran?“
„Ich habe nicht gesagt, dass es mir nicht gefällt.“
„Aber gedacht.“
„Blaues Gras ist gewöhnungsbedürftig. Ich gehe ein bisschen töpfern.“
Vivienne ließ Pinsel und Palette sinken. „Je länger ich lebe, umso mehr wird mir klar, was für eine schwierige Sache das Malen ist, und in seinem Scheitern muss man geduldig darum ringen, weiterzumachen.“
„So schlecht finde ich dein Bild nun auch nicht“, sagte Hedi.
Vivienne lachte. „Das hat Claude Monet gesagt.“
„Verstehe: Das Flimmern von Luft und Licht.“
„Monets Grüne Reflexionen und seine Seerosen in der Abenddämmerung gehören zu meinen Lieblingsbildern. Die Grünen Reflexionen habe ich im Musée du Louvre gesehen. Entstanden in den Jahren 1914 bis 1918, Diptychon. Öl auf Leinwand.“
Hedi runzelte die Stirn. „Diptychon?“
„Das ist ein zweiflügeliges Gemälde, etwa so wie die Altarbilder des Mittelalters“, erklärte Vivienne. „Monets Reflexionen haben die beachtliche Größe von einem Meter siebenundneunzig auf acht Meter siebenundvierzig. Wenn du sie betrachtest, hast du das Gefühl, am Ufer von Monets Seerosenteich in Giverny zu stehen.“
„Wie kannst du dir den ganzen
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