Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
sich dort sicher. Wenn es brenzlig wird, verzieht er sich immer nach Guyana.«
»Und Sie wissen genau, dass ich ihn dort finde?«
»Gestern war er jedenfalls noch da.«
»Wieso ausgerechnet Guyana?«
Antonelli lächelte. »Guyana ist ne Kloake, voller Leute, die entweder mitgeholfen haben, es in eine Kloake zu verwandeln, oder Leuten, die gerne in Kloaken hausen. Selbst mir ist es da zu krass – und ich hab schon ne Menge Kloaken gesehen. Jackson umgibt sich mit den übelsten Typen, die er finden kann. Solange er sie bezahlt, tun sie alles für ihn.«
»Und die Polizei?«
»Die meisten, die er bezahlt, sind Polizisten.«
»Haben Sie seine Adresse?«
»Malvern Gardens. Die Hausnummer weiß ich nicht, aber in der Gegend gibt es sowieso nur zehn Häuser. Ist tierisch nobel für Georgetown-Begriffe, und er ist der einzige Chinese dort.«
»Georgetown ist die Hauptstadt?«
»M-hm. Kloake.«
»Ich bin im Bilde«, sagte sie.
»Das glauben Sie«, sagte er. »Warten Sie, bis Sie dort sind. Egal, wie schlimm Sie es sich vorstellen, es ist hundertmal schlimmer.«
»Wenn ich dorthin reise und feststelle, dass Seto mich erwartet …«
»Meine Lippen sind versiegelt.«
»Ich meine es ernst. Wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung hat …«
»Hören Sie, die Bilder dürfen auf keinen Fall in die falschen Hände geraten. Das wissen Sie. Sie sind sich sogar hundertpro sicher, stimmts? Also, ich vertraue darauf, dass Sie Wort halten. Punktum. Glaube ich, Sie schaffen es, Seto in die Falle zu locken und ihm das Geld wieder abzuluchsen? Nö. Nie im Leben. Aber kann ich es mir leisten, Sie zu bescheißen? Ich verrate ihm nichts. Kein Sterbenswort. Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber beschweren Sie sich hinterher nicht bei mir, wenns schiefläuft.«
»Geben Sie mir Ihr Handy.«
»Wozu?«
»Tun Sie’s einfach.«
Er warf es ihr zu, und sie fing es und klappte es auf. »Ich rufe jetzt die guyanische Nummer an, die Sie mir gegeben haben«, sagte sie. »Ich stelle das Handy auf Lautsprecher.« Sie sah auf die Uhr. »Dort ist es noch nicht allzu spät. Hoffentlich geht er ran. Was, wenn nicht? Mailbox?«
»Ja.«
»Sagen Sie ihm, dass Sie für ein verlängertes Wochenende wegfahren und bis Mitte nächster Woche nicht zu erreichen sind. Ist das glaubhaft? Würden Sie das unter normalen Umständen tun?«
»Ja, ist schon vorgekommen.«
Sie tippte die Nummer ein, stellte das Telefon auf Lautsprecher um und legte es auf den Tisch. Es tutete vier Mal, bevor eine gedämpfte Männerstimme antwortete: »Was zum Teufel willst du, George?«
»Jack, ich mach ne kleine Erholungsreise nach Phuket und wollte dir nur Bescheid sagen. Ich lasse meinen Laptop zuhause, also hörst du bis nächste Woche nichts von mir.«
»Wie auch immer. Viel Spaß.« Die Leitung war tot.
Seto hatte immer noch den Hauch eines chinesischen Akzents, was Ava überraschte. Sein Bruder sprach lupenreines Englisch, und sie hatte dasselbe von Jackson erwartet.
»Na, zufrieden?«, fragte Antonelli.
»Eine Sache noch«, sagte sie langsam. »Geld. Haben Sie Vollmacht über das Geld?«
»Nein«, sagte er. »Die hat nur Jackson.«
»Schickt er Ihnen etwas zu?«
»Er überweist mir jeden Monat gerade genug, um meine Fix- und sonstigen Unkosten zu decken.«
»Sie sind nicht am Gewinn beteiligt?«
»Wir teilen siebzig-dreißig, und raten Sie mal, wer dreißig bekommt. Normalerweise warten wir bis zum Jahresende, gegen Weihnachten, bis wir auf das Geld zurückgreifen. Dann wissen wir, wie viel es insgesamt geworden ist. In unserer Branche gibts viele Auf und Abs, wie Sie sich denken können.«
»Glaube ich Ihnen gerne.«
»Und Sie könnten sich als verdammter Tiefpunkt erweisen.«
»Hoffen wir das Beste«, sagte sie, stand auf und steckte Notizbuch und Kugelschreiber zurück in die Handtasche. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Ich hoffe, ich höre Ihre scheiß Stimme nie wieder.«
»Ganz meinerseits.«
14
A ntonellis Schilderung von Guyana bestätigte sich, als Ava online einen Flug nach Georgetown aussuchen wollte. Sie hielt es für das Beste, eine einheimische Fluggesellschaft zu nutzen. Normalerweise besaß jedes Land eine – mit Ausnahme von Guyana. Die einheimische Airline war im Jahr 2001 pleitegegangen. Auch eine zweite, quasi-nationale hatte Bankrott gemacht.
Die meisten Flüge nach Guyana bot Caribbean Airlines an, und alle dorthin starteten von Port of Spain in Trinidad. Der kürzeste Weg nach Port of Spain führte über New York
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