Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
wolle handgreiflich werden, und bereitete sich auf den Gegenschlag vor, indem sie das Gewicht auf die Füße verlagerte. Ein paar Schritte vor ihr blieb er stehen. »Scheiß Schlampe«, zischte er.
Selbst aus der Entfernung konnte sie Antonellis Atem riechen, der nach Bier und Gott weiß was stank. Seine gebleckten Zähne waren fleckig und mit einem gelblichen Film überzogen. Zum Zähneputzen hatte er wohl keine Zeit mehr gehabt.
Er schwenkte den Umschlag. »Dreckige Schlitzaugen-Schlampe.«
»Sie wiederholen sich und erreichen damit nicht das Geringste. Ich schlage vor, Sie setzen sich«, sagte sie.
»Ich kenne Sie. Von gestern. Irgendwas an Ihnen ist mir gleich komisch vorgekommen.«
»Zu Recht.«
Wieder wedelte er mit dem Umschlag. »Was soll das? Was zum Teufel wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht mal.«
Die Bedienung wartete unweit der beiden mit Avas Espresso, wagte aber nicht, sich zu nähern. »Sie können jetzt kommen«, sagte Ava zu ihr und wandte sich wieder Antonelli zu. »Möchten Sie auch etwas?«, fragte sie. »Ich lade Sie ein.«
»Zum Teufel mit Ihnen!«
»Später. Zuerst müssen wir reden.«
»Was haben Sie damit vor?«
»Sie sind George Antonelli, richtig? Sie haben einen Partner namens Jackson Seto, und Sie beide haben einen meiner Klienten um Geld betrogen. Deshalb bin ich hier.«
»Ich habe keinen gottverdammten Schimmer, was Sie meinen.«
»Oh doch, auch wenn das jetzt keine Rolle spielt. Sie und Ihr kleines Hobby sind mir herzlich egal. Aber ich muss Jackson Seto finden. Und Sie werden mir dabei helfen.«
»Ich weiß immer noch nicht, wovon zur Hölle Sie reden.«
Sie nahm Arthons Akte aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Tisch. »Ich weiß alles über Sie: seit wann Sie hier sind, mit wem Sie zusammengearbeitet haben und wie viele krumme Dinger Sie mit Seto gedreht haben. Ich weiß auch von Ihrer Frau und den Kindern in Atlanta. Ihre Adresse und Telefonnummer stehen hier drin.«
Antonelli setzte sich und blätterte in der Akte. Ava beobachtete sein Gesicht. Sein Kiefer verspannte sich, er leckte sich Speichel aus den Mundwinkeln.
»Was zum Geier verlangen Sie jetzt von mir?«, fragte er schließlich.
»Ganz einfach – ich muss Seto finden. Sie wissen, wo er ist, oder zumindest, wie man ihn kontaktieren kann. Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder Sie sagen mir, was ich wissen will, oder ich mache hundert Kopien von dem Schnappschuss – und den fünf anderen in meinem Besitz – und verschicke sie an Ihre Frau, Ihre Kinder, Ihre Nachbarn in Atlanta, Ihre Eltern, sämtliche Geschwister, Ihre Schwiegereltern und all Ihre Geschäftspartner. Meiner Erfahrung nach sind Amerikaner, besonders die Baptisten aus dem Süden, weniger tolerant als Thailänder, was solche Dinge angeht.«
Er schloss die Augen. Ein gutes Zeichen , dachte sie. Er malte sich das Schlimmste aus, wog die Möglichkeiten ab. »Woher soll ich wissen …«
»Gar nicht«, unterbrach sie ihn. »Aber gewöhnlich halte ich mein Wort. Helfen Sie mir, Seto zu finden, und die Fotos werden vernichtet.«
»Scheiße.«
»Es tut mir leid, dass es so laufen musste, ganz ehrlich. Wenn ich Seto anders hätte aufspüren können, hätte ich nicht zu solchen Mitteln greifen müssen.«
»Und was werden Sie tun, wenn Sie ihn gefunden haben?«
»Ihm das Geld wegnehmen«, sagte sie.
»Was, wenn ich Sie zu ihm führe, und Sie bekommen das Geld nicht zurück? Was passiert mit den Fotos?«
»Helfen Sie mir, dann sind Sie aus dem Schneider, das verspreche ich Ihnen.«
Nachdenklich kaute er an einem Fingernagel. »Haben Sie einen Stift?«
Sie nahm ihren Montblanc-Kuli und ein Notizbuch zur Hand. »Schießen Sie los.«
»Ich gebe Ihnen seine E-Mail-Adresse. Er überprüft seine Mails nicht oft und antwortet selten sofort. Normalerweise schreibe ich ihm in einer Mail, dass ich mit ihm sprechen muss, und er ruft mich an. Aber versuchen können Sie es. Man weiß ja nie.«
»Gut.«
»Im Moment hat er keine nordamerikanische oder asiatische Nummer, Sie müssen ihn unter 592–223–7878 anrufen.«
»Was für eine Vorwahl ist das?«
»Guyana.«
»Er ist in Guyana?«
»Offensichtlich.«
»Warum Guyana?«
»Wir haben da mal Königs-Umberfische und Meerforellen eingekauft, sie in Styroporschalen verpackt nach Atlanta verschifft und auf dem Schwarzmarkt und den lateinamerikanischen Märkten verkauft. Das lief eine Weile ganz gut. Jackson hat da ein Haus und eine Art Ehefrau, er kennt die richtigen Leute und fühlt
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