Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
bitte für mich öffnen?«
»Wir öffnen erst um sieben.«
»Haben Sie den Schlüssel?«
»Ja.«
Sie legte zehn Dollar auf den Tresen. »Öffnen Sie es bitte für mich.«
Sie fand vierzig E-Mails vor, die sie der Reihe nach durcharbeitete. Tam hatte ihr seine Bankverbindung gemailt und wünschte ihr überschwänglich viel Erfolg. Ihre Mutter berichtete von ihren Mah-Jong-Triumphen. Onkel hoffte, dass sie in Sicherheit war. Mimi, ihre beste Freundin, wollte mit dem Typen Schluss machen, mit dem sie seit ein paar Wochen zusammen war.
Ava eröffnete unter der Anschrift ihrer Mutter einen E-Mail-Account bei Yahoo mit der Adresse Eatfish12 und schickte Jackson Seto eine Mail, in der sie behauptete, sie arbeite für eine Handelsgesellschaft in Toronto, die preisgünstigen Fisch importieren wolle, den es, wie sie gehört habe, in Guyana gab. Sie sei zurzeit auf Beschaffungstour in Trinidad, könne aber kurzfristig nach Georgetown reisen, wenn er Zeit habe. Sie fügte hinzu, ein Freund eines Freundes, der mit George Antonelli bekannt sei, habe sie an ihn verwiesen. Ava hielt es für unwahrscheinlich, dass er antwortete, aber einen Versuch war es wert.
Sie schlenderte zurück in die menschenleere Lobby. Das Café hatte immer noch zu. Der Rezeptionschef hielt zehn Finger hoch, noch zehn Minuten also. Ava nahm in einem der Sessel Platz und schaltete ihr Handy ein. Onkel hatte angerufen.
»Ich wollte mich nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist«, sagte er. Es war offensichtlich nicht allein, denn er benutzte ihren Namen nicht.
»Ich habe ihn gefunden. Na ja, zumindest gesehen. Jetzt muss ich mir überlegen, wie ich mich ihm nähere.«
»Schwierig?«
»Keine Ahnung. Ich weiß zu wenig über ihn und seine Gewohnheiten. Er hat einen vietnamesischen Bodyguard, das ist ziemlich ungünstig. Sein Haus gleicht einer kleinen Festung. Und wenn er hier Beziehungen hat, wie Antonelli behauptet, kann ich mich nicht darauf verlassen, dass sich die hiesige Obrigkeit – wer auch immer das ist – heraushält, wenn es hart auf hart kommt.«
»Soll ich dir Hilfe schicken?«
»Nein, ich muss erst mehr herausfinden.«
»Dann ruf mich bitte jeden Tag an. Sonst mache ich mir Sorgen.«
Unterdessen hatte sich ein übergewichtiger Mann in mittleren Jahren zu ihr gesellt. Das enge T-Shirt mit der Aufschrift GUYANA SUCKS , das er sich in die Hose gesteckt hatte, betonte seinen Bierbauch. Auf dem einen Arm hatte er von oben nach unten die Worte RED DEVILS eintätowiert, auf dem anderen MANCHESTER U . Er ging zum Café und rüttelte am geschlossenen Gitter, bis eine junge Inderin auftauchte und für ihn aufschloss. Ava trat ebenfalls ein und setzte sich so weit wie möglich von ihm weg, was in dem engen Raum wenig nützte.
»Was zum Teufel hat Sie hierher verschlagen?«, rief er.
Britische Akzente konnte sie schwer einordnen, aber auch ohne die Tattoos hätte sie erraten, dass er der nordenglischen Arbeiterklasse angehörte. »Geschäfte«, antwortete sie und wünschte, sie hätte ein Buch oder eine Zeitung dabei, um sich dahinter zu verstecken. Zu ihrer Überraschung stand er auf und setzte sich an ihren Tisch. »Ich bin Tom Benson«, sagte er.
»Ava Lee.«
»Was genau machen Sie hier in diesem Drecksloch?«
»Ich habe etwas Geschäftliches zu erledigen, bleibe aber nicht lange.«
»Tja, da haben Sie mehr Schwein als ich«, sagte er.
»Tatsächlich?«
»Ich hänge seit sechs Monaten hier rum und muss vermutlich noch sechs weitere bleiben.«
»Wieso das?«
»Die beschissene Stromversorgung. Ich soll sie reparieren, falls das möglich ist.«
»Wenn ich an gestern Abend denke, hatten Sie anscheinend bisher keinen Erfolg.«
Die Kellnerin kam an den Tisch. »Kaffee und Toast«, sagte er, »und benutzen Sie bloß Tafelwasser.« Er sah Ava an. »Hände weg von Eiern und Fleisch. Ich habe mir dadurch schon zwei Lebensmittelvergiftungen eingefangen. Wie gesagt: Sie müssen auf Tafelwasser bestehen, sonst nehmen sie die Brühe aus dem Fluss. Einmal haben sie versucht, mir das Zeug unterzujubeln, aber ich bin in die Küche geplatzt und hab sie erwischt. Jetzt stecke ich hin und wieder den Kopf zur Tür rein, damit sie hübsch brav bleiben.«
»Ich nehme dasselbe wie er«, sagte Ava dann zu der Bedienung.
»Ich arbeite für Rolls-Royce. Die waren vor ewigen Zeiten mal im Dieselgenerator-Geschäft. Diese Stadt besitzt die letzten hundert, die noch in Betrieb sind. Sie hätten schon vor langem ersetzt werden müssen, aber keiner hat
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