Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
und das schätzten sie auch bei ihrem Gegenüber. Deshalb hatte sie nicht vor, ihn zu belügen, musste sich aber überlegen, wie viel sie ihm verraten durfte. »Wenn Sie beim Sicherheitsdienst sind, haben Sie bestimmt oft mit der einheimischen Polizei und dergleichen zu tun.«
Er nickte.
»Nun, ich muss wissen, wie das System hier funktioniert.«
»Sie verraten mir doch sicher, warum, oder?«
»Ich repräsentiere eine kanadische Firma, die um eine beträchtliche Geldsumme betrogen wurde, und zwar von jemandem, der sich in Guyana aufhält«, sagte sie vorsichtig. »Ich bin hier, um einen Teil oder die gesamte Summe zurückzufordern.«
Sein Gesicht blieb ausdruckslos. Derartige Geschichten hörte er wahrscheinlich andauernd. »Dafür gibt es doch Anwälte. Ich kann Ihnen welche empfehlen, wenn Sie möchten«, sagte er.
»Für Anwälte ist es zu spät«, sagte sie. »Außerdem hat der Betrug in den Vereinigten Staaten stattgefunden, das Geld befindet sich wahrscheinlich auf einem Offshore-Konto und der Schuldige hier. Sie können sich vorstellen, wie kompliziert der Rechtsweg bei vier Gerichtsbarkeiten wäre.«
»Natürlich. Sie haben mir übrigens noch nicht gesagt, was Sie beruflich machen. Sind Sie Anwältin?«
»Ich bin Buchhalterin und Wirtschaftsprüferin.«
»Sie haben das Geld also ausfindig gemacht.«
»Genau.«
»Und Sie wissen, wer es gestohlen hat und wo der- oder diejenige sich aufhält?«
»Er heißt Jackson Seto und hat ein Haus in Malvern Gardens, am Rand von Georgetown, und genau da hält er sich jetzt auf.«
»Ich kenne Malvern Gardens, aber von dem Mann habe ich noch nie gehört.«
»Warum hätten Sie von ihm hören sollen?«
Er zuckte die Achseln. »Sie wären überrascht.«
»Wie auch immer, ich muss Seto direkt angehen.«
»Was hindert Sie daran?«
»Ich weiß aus mehreren Quellen, dass er Beziehungen zu den Leuten hat, die in Guyana das Sagen haben, und ein gewisses Maß an Schutz genießt.«
»Wenn er in Malvern Gardens lebt, würde es mich nicht wundern, wenn er Beziehungen hat.«
»Zu wem?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie läuft das hier? Man kann nicht einfach am Flughafen ankommen, ein paar Cops schmieren, und alles ist gut. Es gibt doch sicherlich ein etabliertes System, oder?«
»Sehr etabliert.«
Sie wartete. »Bin ich jetzt mit Raten an der Reihe?«, fragte sie schließlich.
Er schien beunruhigt.
»Wissen Sie, wenn dieses Gespräch unter uns bleiben soll, kein Problem. Das gilt natürlich für beide Seiten«, sagte sie.
»Wollen Sie anfangen?«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Absolut.«
Bei jedem anderen hätte Ava weitere Zusicherungen von Diskretion verlangt, doch sie wusste aus Erfahrung, dass er ihr das übelnehmen würde. Mounties waren äußerst empfindlich, was ihre Ehre anging.
»Wie gesagt«, fuhr sie fort, »ich bin hier, um das Geld eines Klienten zurückzuholen. Um mein Ziel zu erreichen, muss ich mich mit Seto treffen und ihn überzeugen, dass es auch in seinem Interesse liegen muss, das Geld zurückzugeben.«
»Wie genau wollen Sie das bewerkstelligen?«
»Na ja, zuerst würde ich es mit gutem Zureden versuchen, und wenn das nicht funktioniert …« Zeit für einen kleinen Vertrauensvorschuss. »Dann würde ich ihn auf irgendeine Art unter Druck setzen, was auch physische Gewalt nicht ausschließt.«
»Physische Gewalt?«
»Ich bin nicht so sanftmütig, wie ich aussehe.«
»Wie weit würde die physische Gewalt denn gehen?«
»Er würde mir nichts nützen, wenn er tot, verkrüppelt, verstümmelt oder sonst wie außer Gefecht gesetzt wäre.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Mein völliger Ernst.«
Er schüttelte den Kopf, und seine Mundwinkel zuckten. »Bin ich froh, dass ich heute zur Arbeit gekommen bin.«
»Ehrlich gesagt finde ich das nicht besonders lustig.«
»Verzeihen Sie«, sagte er kopfschüttelnd. »Es kommt einfach nicht alle Tage eine wunderschöne, junge Frau, die nicht mehr als fünfzig Kilo wiegen kann, hier hereinspaziert, gibt ihren Beruf als Wirtschaftsprüferin an und erwähnt im gleichen Atemzug, dass sie irgendeinen Typen auseinandernehmen will.«
»Aber so ist es nun mal«, sagte sie. »Mein Problem – oder potenzielles Problem – ist, wenn ich ihm gegenüber eine härtere Gangart anschlagen muss, kriege ich Schwierigkeiten mit seinen Freunden, und meiner Erfahrung nach hat man dann in Entwicklungsländern keine Chance. Sie jagen mich aus dem Land, oder Schlimmeres.«
»Hier wäre es wahrscheinlich oder Schlimmeres
Weitere Kostenlose Bücher