Die Wedding-Planerin
allem lauter.
Ich schalte auf Durchzug und sehe mich näher in dem Laden um. Fasziniert bleibe ich vor dem Schuhregal stehen: Größe 34 bis
38 wird hier geführt, die Größen der Kleider sind ebenfalls klein: XXS bis M. Ich komme mir etwas elefantös vor und verlasse den Laden, so schnell ich kann.
|58| Wieder auf der Straße, fällt mein Blick auf ein Gebäude. Ich gehe hinüber, um mir anzusehen, was sich dort verbirgt. Das
angeschlagene Schild ist ausschließlich mit chinesischen Schriftzeichen ausgestattet. Mit Hilfe meines Reisesprachführers
kann ich einige davon entschlüsseln und vermute, dass es sich hierbei um ein Anmeldebüro für Heiratende handelt. Ich frage
mich, ob das System so funktioniert wie bei uns, dass man sich für die Hochzeit auf dem Standesamt anmelden muss. Die angeschlagenen
Informationen bringen mich nicht weiter – keine englischen Übersetzungen. Macht nichts. Ich notiere in meinem Reisetagebuch,
dass ich das zu Hause recherchieren will. In das Haus geht immer nur ein Mann rein, aber hinaus kommen Männer und Frauen.
Sind die Frauen da drin vielleicht geparkt, und hier werden gar keine Hochzeiten angemeldet, sondern erotische Geschäfte
vermittelt? Oder gibt es so etwas wie einen zweiten Eingang, den die Frauen nutzen, damit ihre zukünftigen Männer sie nicht
vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen? Und wo heiraten Chinesen, wenn sie einen spirituellen bzw. geistlichen Segen möchten?
Im Tempel – geht das im Buddhismus überhaupt? Fragen über Fragen, die ich jetzt nicht beantworten kann, die ich aber notiere,
um sie ebenfalls zu Hause zu klären.
Ich laufe weiter, die Stunde ist fast um, und ich möchte Andreas nicht zu lange warten lassen, außerdem habe ich Hunger.
Kurz vor dem Restaurant bleibe ich noch einmal stehen. Aus einem Laden für Brautmoden dringt unglaublicher Lärm auf die Straße.
Beim Blick hinein entdecke ich eine riesige Menge Frauen, die sich um eine einzelne Dame im weißen Kleid auf einem Podest
bewegen, kichern und fotografieren. Ich muss grinsen, manche Dinge sind einfach international: Frauen ziehen gemeinsam los,
um ihrer Freundin, Tochter oder Schwester das schönste Hochzeitskleid der Welt auszusuchen.
Zurück im Restaurant, komme ich fast nicht zu Andreas durch. Vor mir steht ein Pulk von Menschen, die sich in die Arme fallen |59| und unglaublich laut reden. Beim näheren Hinsehen entdecke ich ein Paar, das sich im Arm hält und von Menschen umringt ist.
Sie trägt eines der Kleider, die ich eben gesehen habe, und auch er sieht in seinem Anzug verdächtig nach Bräutigam aus.
Das ist eine Hochzeitsgesellschaft! Ich schlängele mich an Brautpaar und Gästen vorbei, hin zu meinem Freund, der etwas
einsam an seinem Tisch sitzt und mich entsetzt ansieht. «Werden wir von Hochzeiten verfolgt?», will er von mir wissen, als
ich mich setze. Gelassen winke ich ab und erkläre ihm, dass nun mal immer und auf jedem Teil des Erdballs geheiratet wird.
Dann erzähle ich ihm von meinem Streifzug und stelle ihm all die Fragen, die mir durch den Kopf gehen. Zwar kennt auch er
keine chinesischen Hochzeitsbräuche, doch spricht uns das Paar vom Nachbartisch an. Wie sich herausstellt, handelt es sich
um Amerikaner, die lange in Deutschland gelebt und daher unser Gespräch verstanden haben.
Peter und Kate wohnen und arbeiten bereits seit fünf Jahren in Hongkong. Anders als viele andere Ausländer, so erzählen sie,
konnten sie sich einen Freundeskreis aufbauen, der zu einem Großteil aus Chinesen besteht, und sind so mit der hiesigen
Kultur bestens vertraut. Peter erklärt uns, was bei einer Hochzeit in China wichtig ist. «Die Braut dort drüben», er zeigt
auf die anwesende Gesellschaft, «trägt heute bereits das zweite Kleid, sie wird sich noch bis zu dreimal umziehen.» Kate
erklärt uns, dass diese Prozedur damit endet, dass die Braut sich zum Schluss in einem roten Kleid präsentiert. Denn Rot
ist die chinesische Hochzeitsfarbe. Deshalb bringen die Gäste ihre Geldgeschenke verpackt in roten Tüten mit. Offenbar wird
bei einer Hochzeit auch nicht gegeizt – die Gäste greifen tief in die Tasche, und eine Gesellschaft von bis zu 300 Gästen ist keine Seltenheit. Allerdings sei dies in Hongkong nicht ganz so ausgeprägt, hier würde auch kleiner geheiratet.
Auf dem Festland aber würden die Familien weder Kosten noch Mühen scheuen, um ihr zumeist einziges Kind der Tradition gemäß
zu verheiraten
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