Die Wedding-Planerin
chinesischen Nacht direkt ins Bett gefallen sind. Nun ist es sieben Uhr morgens, und ich liege völlig
verschlafen im Hotel und denke über die Reise nach.
Nach der letzten Hochzeit sind wir mehr oder weniger direkt in den Flieger gestiegen. Die Hochzeits-Saison ist für dieses
Jahr zu Ende, und nach den vier Feiern, die ich diesen Sommer mit vorbereitet habe, und zwei weiteren Hochzeiten im Ausland
war schon das zweite Jahr in Folge nicht an Sommerurlaub zu denken. Eine Pause ist mehr als überfällig. Am Freitag habe ich
die letzte |56| Hochzeitstorte des Jahres gebacken, am Samstag haben wir gefeiert und somit das letzte Wochenende zwischen Autobahn, Kirche
und Hotel verbracht – jetzt ist Urlaub angesagt. Hochzeitsfreie Zeit, das zumindest habe ich Andreas versprochen.
Hungrig stehe ich auf. Ich brauche jetzt eine Dusche, etwas zu essen, und ich will wissen, wie sich Hongkong anfühlt,
und diese gigantische Stadt entdecken. Eine Stunde später stehen wir auf der Straße vor unserem Hotel, und ich muss kichern
– das mit hochzeitsfrei wird wohl nichts. Ich gucke mir Andreas’ entsetzen Gesichtsausdruck an und weiß, was er denkt: «Bitte
nicht!» Er fühlt sich, ebenso wie ich, von dem Thema bis nach Hongkong verfolgt. Denn die Straße, auf der wir stehen,
scheint so etwas wie das Mekka der heiratswilligen Chinesen zu sein. So weit man blicken kann, gibt es hier außer Brautmodenläden,
Fotografen, Anmeldebüros für Brautpaare und noch einmal Brautmodenläden nur noch zwei Kioske, die Erfrischungen anbieten.
An diesem Eindruck ändert sich auch nichts, als wir etwas später am anderen Ende der Straße stehen. Andreas bangt sichtlich
um seine Erholung. Er wollte mit dieser Reise vor allem auch dem Thema entfliehen und mich mal wieder über etwas anderes reden
hören. Allerdings kann ich nicht aus meiner Haut und muss die Straße erkunden. Da er weiß, dass ich mich erst entspannen
werde, wenn ich das getan habe, parkt er sich selbst in einem Restaurant und gibt mir eine Stunde, bevor das Thema Hochzeit
für den Rest des Urlaubs tabu sein wird, wie ich verspreche.
Neugierig streune ich durch die Straße. Auf einem Kilometer gibt es sicher zwanzig Brautmodenläden, die bei näherem Betrachten
ähnlich sind wie die in Deutschland. Unterschiedliche Preisklassen bedingen unterschiedliche Ausstattungen. Was schnell ins
Auge fällt: Chinesinnen scheinen es pompös zu mögen. Kein Laden hat in seinem Schaufenster ein schlichtes Outfit dekoriert
– alles glitzert, schillert und ist zum Teil schreiend bunt. Fasziniert bleibe ich vor einem Laden stehen. Die Fassade ist
poliert, ein Schild warnt |57| die Kunden vor potenzieller Ausrutschgefahr. Im Schaufenster sind zwei Kleider dekoriert. Das eine ein Brautkleid in Weiß
mit Perlen, Rüschen, Spitze und der vollen Braut-Accessoires-Ausstattung: Handschuhe, Diadem, Ringkissen, Handgelenksbeutelchen,
Spitzentaschentuch, Strümpfe, Unterwäsche, Schuhe. Daneben hat Bibo aus der Sesamstraße offenbar sein Kostüm platziert:
Ein gelbes Kleid, das mit Federn dekoriert ist, die Perlen und Pailletten eingeflochten haben. Anscheinend handelt es sich
hierbei um einen Dekorationsvorschlag für die begleitenden Mütter, Schwestern oder Trauzeuginnen. An den Kleiderstangen im
Inneren entdecke ich farbliche Varianten dieses Federboa-Kostüms – wahlweise in Pink, Bleu oder Mint. Herrlich – hier vereinen
sich amerikanischer, europäischer und asiatischer Kitsch auf das Extremste zu einem Potpourri der Geschmacklosigkeiten.
Ich bin begeistert und turne über den «Caution: Wet floor!»-Aufsteller ins Innere des kleinen Ladens. Als Erstes strömt mir
zwölf Grad kalte Luft entgegen. Ich bin keine 24 Stunden in dieser Stadt und habe noch nicht verstanden, warum möglichst kalte Räume bei den Chinesen ein Zeichen des Luxus
sein sollen. Fröstelnd ziehe ich eine Jacke an. Schon stehen zwei Angestellte vor mir und reden auf mich ein. Leider kann
ich sie nicht verstehen und versuche es mit Englisch. Das verstehen sie nicht. Also gestikuliere ich einfach wild durch den
Raum und hoffe, dass sie kapieren, dass ich nur mal gucken möchte. Was soll schon passieren? Die beiden sind nur halb so
groß wie ich, sie werden mich kaum aufhalten, denke ich mir. Zumal sie sicher ein Geschäft mit mir machen wollen. Aufhalten
tun sie mich wirklich nicht, aber sie weichen auch nicht mehr von meiner Seite und reden immer weiter und vor
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