Die wehrhafte Braut: Roman (German Edition)
hielt sie sich die Hand vor den Mund und lief scheu davon. Am Schandpfahl hatte man einen Mann mit dem Kopf nach unten aufgehängt, er trug keinen Gürtel, sodass sein Kittel sich umgestülpt hatte, den Körper entblößte und seinen Kopf verbarg. Doch an den langen, dürren Beinen war der Barde Airdan deutlich zu erkennen. Brust und Rücken waren blutig geschlagen, er regte sich nicht, und seine Arme pendelten wie leblos hin und her.
Rodena begriff, dass Roger de Brionnes Fortgehen alle erschüttert hatte, nicht zuletzt Alister selbst. War er vorher schon launisch und grausam gewesen, so ließ er jetzt seinen Ärger noch übler an Gesinde und Getreuen aus. Der unglückliche Airdan, der Rogers Pläne nicht rechtzeitig erraten hatte, war vermutlich das erste Opfer geworden. Die Angst, die in der Burg umging, war förmlich zu riechen, niemand wusste, an wem sich Alisters Wut als Nächstes entzünden würde – es konnte jeder sein, ganz gleich, ob Ritter oder Knecht, Mann oder Frau -, auch die Kinder würde er nicht schonen.
Gavin schien jedoch zuversichtlich, dass er seinen Nutzen aus der Lage ziehen würde. Er ließ es sich nicht nehmen, Rodena selbst vor Alister zu führen, denn er wollte sehen, wie sie von ihm empfangen wurde. Vielleicht ergab sich heute schon die Möglichkeit, dem Clan Chief einen unschätzbaren Gefallen zu erweisen, indem er sich anbot, Rodena zu heirateten.
Rodena war entschlossen, sich von der Furcht, die auf allen lastete, nicht anstecken zu lassen. Als sie die wohlbekannten Stufen zu Alisters Wohnraum im Turm hinaufschritt, war sie entschlossen, für Ewan zu kämpfen, auch im Verborgenen, selbst wenn es ihr Leben kosten würde. Vielleicht war es besser, für ihn zu sterben, als ein langes, unglückliches Leben ohne ihn führen zu müssen.
Alister schien auf den ersten Blick nur wenig verändert. Er trug keine Rüstung, sondern einen dunklen Kittel, der mit breitem Gürtel zusammengehalten wurde, darüber ein Wams aus festem Leder. Seine Züge waren bleich wie meist, und die Augen blickten kalt. Doch Rodena entging nicht, wie unruhig seine Hände über die Lehne des Stuhles glitten, auf die er sich stützte.
»Du bist es also wirklich«, zischte er sie an. »Nach allem, was geschehen ist, wagst du es, hierher zurückzukommen!«
»Es war nicht meine Schuld, dass man uns überfiel«, wehrte sie sich empört. »Ich glaubte, von Euch mit Freude und Erleichterung empfangen zu werden, weil ich den Räubern entkommen bin.«
Ein unruhiges Zucken lief über Alisters Gesicht, und er wandte sich zur Seite, um die Plage, die ihn seit Tagen quälte, vor ihr zu verbergen. Seine Gesichtsmuskeln spielten ihm einen Streich und wollten ihm nicht mehr gehorchen – es musste ein böser Zauber sein. Vermutlich war es das Werk dieser alten Hexe Caja.
»Verschwinde!«, herrschte er Gavin an, der sich dienstfertig verneigte und enttäuscht davonging.
»Es wäre besser für dich gewesen, wenn du gestorben wärest«, sagte er und musterte Rodena mit kalten Augen von der Seite. »Wo ist dein Brautführer geblieben? Warum hat er dich nicht geschützt, wie er mir geschworen hatte?«
»Er hat sein Bestes getan. Doch die Feinde waren übermächtig.«
»Wurde er getötet?«, fragte er scharf und sah sie lauernd an.
»Ich weiß es nicht.« Sie bemühte sich, ihrem Gesicht einen ehrlichen Ausdruck zu geben. »Wir wurden getrennt.«
Alisters Gesicht zuckte wieder, und er fuhr mit der Hand über die Wange, um die Muskeln zu beruhigen. Er spürte deutlich, dass sie ihn anlog, doch er war sich noch nicht sicher, was sie vor ihm verbarg. Er würde es herausfinden.
Die ganze Sache war mehr als lästig, denn Malcolm MacLead hatte über einen Boten vermelden lassen, der Brautzug sei verloren und die Braut geschändet – eine Heirat käme jetzt nicht mehr infrage. Dennoch stimmte da etwas nicht, denn auf geheimem Weg war die Nachricht zu Alister gedrungen, Ewan Turner und Rodena hätten sich auf Malcolms Burg befunden. Dieser alte Fuchs Malcolm hatte ein falsches Spiel mit ihm getrieben! Nun war Rodena – wie auch immer – hierher zurückgekehrt. Wo aber trieb sich der Brautführer herum?
»Du weißt also nicht, wo Ewan Turner sich aufhält?«
»Nein.«
Er betrachtete ihre Kleidung und war sich jetzt seiner Sache sicher. Wäre sie bei den MacMorrans gefangen gewesen, dann hätte sie jetzt höchstens einen zerrissenen Kittel auf dem Leib. Dieses Gewand stammte ganz sicher aus einer anderen Quelle. Er spürte wieder
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