Die Weimarer Republik
innerhalb von sechs Tagen drohten die Alliierten mit der Besetzung des Ruhrgebietes; die Reichsregierung trat zurück. Zwar nahm der Reichstag mit 220: 117 Stimmen die Bedingungen an, doch war das weder mit dem Willen zur Sanierung der Währung noch zur Bedienung der Schulden verbunden. Nach der Zahlung der ersten Rate folgte das Gesuch um ein Moratorium und um einen internationalen Kredit.
Dass Deutschland am 16. April 1922 mit Russland in Rapallo ein Abkommen schloss, in dem beide u.a. auf Reparationsansprüche verzichteten, statt auf der Konferenz von Genua zu einer Lösung der Reparations-, Wirtschafts- und Sicherheitsfragen beizutragen, schuf neues Misstrauen. Frankreich drängte auf Sanktionen und wollte das Moratorium nur gegen «produktive Pfänder» gewähren: die Abtrennung der linksrheinischen Gebiete und die Kontrolle des Ruhrgebietes. Als Deutschland im Dezember 1922 mit seinen Lieferungen in Rückstand geriet, besetzte Frankreich – mit belgischer Beteiligung, aber gegen dasVotum Englands – das Ruhrgebiet. Das Reich, militärisch wehrlos, reagierte mit der Ausrufung des «passiven Widerstands», des Generalstreiks gegen die Besatzungsmacht. Eine Welle der nationalen Empörung und Solidarisierung gegen die erneute «Vergewaltigung» erfasste die Bevölkerung, die die KPD als «revolutionären Faktor» zu nutzen hoffte. Sie versuchte vergeblich, eine Volksfront «von unten» selbst mit den Nationalsozialisten zu begründen, da die nationalrevolutionäre Parole ihr wirkungsmächtiger schien als die sozialrevolutionäre.
Frankreich reagierte mit Härte. Zusammenstöße und Racheakte der Besatzungsmacht forderten 132 Tote. 150.000 Beamte und Mitarbeiter der Eisenbahn, die dem Aufruf zum passiven Widerstand folgten, wurden samt ihren Angehörigen aus dem Ruhrgebiet ausgewiesen und mussten wie die von den wirtschaftlichen Folgen betroffenen 2 Mio. Arbeitslosen vom Reich unterstützt werden. Zwar war der passive Widerstand insofern erfolgreich, als Frankreich in Eigenregie weniger Kohle exportierte, als es vorher erhalten hatte, doch die Folgen für das Reich waren gravierender: Es musste abermals bedingungslos kapitulieren. Die Regierung Stresemann brach am 26. September 1923 den passiven Widerstand ab. Sie musste die endgültig zerrüttete Währung sanieren und damit den Weg für eine Regelung des Reparationsproblems ebnen. Aber: An den Verhandlungen, die 1924 zum Dawes-Plan führten, war das Reich beteiligt. Dieser kam dem Reich entgegen, indem die Jahresraten der Reparationen für eine Erholungsphase bis 1928/29 niedriger angesetzt und durch internationale Anleihen finanziert wurden. Da der Plan zugleich die Quellen festlegte, aus denen die Leistungen fließen sollten, wurden Verteilungskämpfe im Inneren vermieden. Die Reichsbahn musste als Sicherheit für die Anleihen durch Verfassungsänderung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden; daher stimmte auf Druck von Industrie und Landwirtschaft die Hälfte der DNVP-Abgeordneten dem Plan zu, den sie zuvor als «neues Versailles» erbittert bekämpft hatten. Und ein weiterer symbolischer Erfolg war dem Reich beschieden: Frankreich musste das Ruhrgebiet bis Juli 1925 räumen.
Deutschland kehrte auf die internationale Bühne zurück. Der Dawes-Plan und nachfolgend der Locarno-Pakt 1925 waren ein zweiter Frieden, der jetzt ein Verhandlungsfrieden war. Das Reich mochte sich als moralischer Sieger fühlen. Doch der Preis war so hoch, dass Triumph gar nicht aufkommen konnte. Mehrere Regierungen waren über die Friedens- und Reparationsfrage gestürzt (worden), die Republik war zerrüttet und geschwächt; Inflation, Arbeitslosigkeit und verzögerter wirtschaftlicher Wiederaufbau hatten neben den enormen sozialen und ökonomischen Kosten die Feinde der Republik gestärkt: auf der Linken wie auf der Rechten. Dass das Kaiserreich den vierjährigen Krieg verloren hatte, wurde überschattet von dem Bewusstsein, dass die Republik den sechsjährigen Nachkrieg verloren hatte. Ihr wurde am Ende des zehnjährigen Ringens die Gesamtverantwortung zugeschrieben. Das Kaiserreich wurde in der verklärenden Erinnerung zum Höhe- und Endpunkt eines «goldenen Zeitalters»: der Zenit deutscher wirtschaftlicher, militärischer und wissenschaftlicher Weltgeltung. Und die Republik, das war die Krise, der nach innen und außen schwache Staat.
II. 1924–1930:
Scheinblüte und Desorientierung
Die mittleren Jahre der Republik waren geprägt von einem trügerischen
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