Die Weimarer Republik
meist einer Generationenelite, war, trotz aller Unterschiede, ein Kern von Lebensgefühlen und Erfahrungen gemeinsam. Sie waren deutungsmächtig und klassenübergreifend, wie man z.B. auch an den französischen Veteranenverbänden ablesen kann. Sie kreisten um den Weltkrieg, der sich als Einbruch einer unbegreiflichen Zerstörung so dramatisch in den Erfahrungshaushalt nicht nur der Deutschen eingebrannt hatte. Dem Gestaltungsanspruch standen Ohnmachtserfahrungen entgegen, das Gefühl, die im Zusammenbruch enthaltene Chance sei von den Alten «verraten» worden. Die Erwartung, dass die eigenen Lebensperspektiven begrenzt waren, entlud sich in Rebellion, bis hin zur Militanz. Das Trauma des Krieges ebenso wie die Erfahrung von Revolution, Bürgerkrieg und Inflation wurde von den Jüngeren zukunfts- und handlungsorientiert(er) verarbeitet als von den nostalgisch-defensiv reagierenden Älteren. Sie setzten «Leben» gegen Vernunft, «Aktion» gegen Reflexion, «Zukunft» gegen Bindung durch Tradition und Geschichte, «Willen» gegen Handlungsscheu, «Idealismus» gegen materielle Sicherheit.
Der Jugendmythos der 1920er-Jahre wurde verstärkt durch die bevölkerungspolitische Propaganda infolge der Kriegsverluste und das Anwachsen der «Jugendgeneration» infolge des demographischen Wandels. Nicht nur Bürger und Arbeiter beklagtenden Verlust der Jugend. Manches spricht dafür, dass die Erfolge der NSDAP auf dem Lande einer Rebellion der Jungbauern gegen ihre Väter zu verdanken waren. Der Versuch, diese Entwicklung in Jugendorganisationen der Parteien, Verbände, Kirchen oder Armee aufzufangen, trug dazu bei, die Bewegung zum organisierten Massenphänomen werden zu lassen, inkl. des Sports. Etwa die Hälfte der Jugendlichen war in solchen Jugendverbänden organisiert, die Merkmale einer gemeinsamen Jugendkultur aufwiesen, die auch die jungen Frauen erreichte. Jedoch wäre es eine Verkürzung, Generationalität nur auf politisch-ideologische Entwürfe zu beziehen. Neben der Missbilligung der Alten und rechtlicher Kontrollbemühungen (Reichsjugendwohlfahrtsgesetz 1922, Schmutz- und Schundgesetz 1926) machte vor allem das Abweichen von den tradierten Standards in Geschmack (Kleidung, Musik) und Verhaltensweisen «Jugend» zu einer Generationenlage, die sowohl ihren klassen- und geschlechtsspezifischen (männlichen) wie ihren urbanen Rahmen zu übersteigen begann. Es kennzeichnete die Ambivalenz der Weimarer «Krisenjugend», dass den prekären beruflichen Chancen völlig neue Angebote gegenüberstanden: Sport, Tanz, Radio, Grammophon und Kino, deren Ausdruck der «Amerikanismus» (Jazz, Hollywood-Filme) als «vorbehaltlose und bedingungslose Modernität» wurde. Sie verfügte als erste Generation über ein planbares Freizeitbudget, sei es infolge einer durch Tarifverträge geregelten, sei es durch Arbeitslosigkeit unfreiwilligen, aber bislang unbekannt langen arbeitsfreien Zeit. Und sie besaß auch die Mittel, da 1927 nur noch 72 % des Einkommens (1907: 88 %) für die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens ausgegeben werden mussten.
Ein generationeller Einstellungs- und Verhaltenswandel war auch bei den jungen Frauen zu erkennen. Bei ihnen war das, ungeachtet der noch gültigen Geschlechterrollen, an der Einstellung zur Ausübung einer Berufstätigkeit ablesbar, zu Sexualität und Geburtenkontrolle, an ihrem Freizeit- und Konsumverhalten. Mehr Frauen waren berufstätig, verstärkt auch nach der Kinderphase. Sie arbeiteten in den neuen «frauentypischen» Berufen der Büroangestellten, der Volksschullehrerin oder Sozialarbeiterin.Sie drangen aber auch in männliche Berufsfelder vor, in der Industrie, an den Universitäten (1931: 16 %), in der Politik. Sexualität wurde ansatzweise enttabuisiert und «aufgeklärt(er)». Der weibliche Körper wurde aus Korsett und Mieder befreit und durch die neue Kleidung sichtbarer, die Frau durch die Lockerung rechtlicher und sozialer Normen gegenüber Ehemann und Eltern selbstbestimmter, in den neuen Unterhaltungsstätten (Kino, Tanzsaal) gleichberechtigt, die Vereinbarkeit von Beruf und Haushalt durch die Rationalisierung der Hausarbeit (Einbauküche, Waschmaschine) greifbarer. Die «neue Frau» war nicht so sehr Projekt der Frauenbewegung, sondern fast mehr noch ein Produkt der Filmindustrie, der Illustrierten, der Werbung, des Massenkonsums – und das keineswegs nur in der Stadt. Ungeachtet des Widerstandes konservativer Institutionen und Meinungsführer, vieler Männer und auch
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