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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Mai
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neuen Stil: Gemäß dem vom «Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrage» fühle sich seine Regierung nicht an eine Koalition gebunden. Er werde nicht mehr «mit einzelnen Gesetzen» arbeiten, so erläuterte er in seinen Memoiren, sondern «mit großen zusammenfassenden Regierungsvorlagen, im einzelnen nicht mehr abzuändern, die einen, meiner Ansicht nach, möglichen Kompromiß zwischen den Parteien vorwegnahmen». Dem Reichstag drohte er, wenn eine derartige Lösung nicht möglich sei, werde die Regierung «nicht vor außergewöhnlichen Mitteln zurückscheuen». Brüning verlangte vom Reichstag also die Selbstentmachtung. Nahm dieser sein Recht in Anspruch, Regierungsvorlagen abzulehnen, wurden ihm die Auflösung und der Erlass per Notverordnung angedroht. Im Juli tat der Reichstag Brüning den Gefallen. Inzwischen hatte der seine Deflationspolitik eingeleitet: Kürzung der Staatsausgaben, «Notopfer» der Festbesoldeten, Sonderleistungen der Höherverdienenden, Steuererhöhungen und Sanierung der Arbeitslosenversicherung durch Leistungsabbau. Eine negative Allianz aus DNVP, NSDAP, KPD und SPD ließ die Regierungsvorlage scheitern, die per Notverordnung in Kraft gesetzt wurde. Dass ein vom Reichstag abgelehnter Entwurf in eine Notverordnung umgewandelt wurde, galt als verfassungswidrig. Als die SPD die Aufhebung der Notverordnung beantragte, ergab sich erneut eine Mehrheit. Die zweifach gescheiterte Notverordnung wurde trotzdem erlassen, der Reichstag aufgelöst. Damit begann die permanente Durchbrechung der Verfassung zugunsten der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten.
    Die Wahlen im September 1930 erbrachten auf der Rechten neben der Halbierung von DNVP (7 %) und DVP (4,5 %) vor allem den kometenhaften Aufstieg der NSDAP auf 18,3 %. Die Mitte blieb stabil, aber zersplittert, während auf der Linken eine Verschiebung von der SPD (24,5 %) zur KPD (13,1 %) stattfand. Wie 1928 wurden 14 % der Stimmen für Splitterparteien abgegeben. Eine Mehrheitsbildung wäre möglich gewesen: aber nur auf der Grundlage der Sammlung von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Die Parteien der gescheiterten Großen Koalition verfügten über ca. 300 von 577 Mandaten. Doch ohne Stresemann war von der DVP eine Koalition mit der SPD kaum mehr zu erwarten, obwohl sich bei der Industrie, wie schon im Juni 1930, mit Rücksicht auf amerikanische Kredite – und mit gewisser Bitterkeit – die Stimmen mehrten, die zur Einbeziehung der SPD bereit waren. Eine mögliche Erneuerung der Großen Koalition hatte Brüning bereits im Juli mit der Auflösung desReichstages verhindert. Jetzt lehnte er die Forderung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) nach einer Großen Koalition erneut ab. Allerdings stand auch für die gemäßigten Industriellen fest, «daß nunmehr die Demokratie die allerletzte Chance hat». Sollte sie diese verpassen, «dann muß auf einem anderen Wege der Versuch gemacht werden». Während Schleicher einen neuen Plan zur Abwendung von der Demokratie entwarf, versuchte der Kanzler, eine rechte Mehrheit zu finden. Brüning nahm den Aufstieg der NSDAP keineswegs fahrlässig in Kauf. Er wollte die DNVP gefügig machen. Verweigerte sich die, bestand die Chance, über die NSDAP eine rechte Massenbasis zu gewinnen. Am 6. Oktober unterbreitete er Hitler ein Angebot. Doch konnte den eine abgestimmte Rollenverteilung zwischen Regierung und tolerierender NSDAP ebenso wenig reizen wie das Angebot, auch in den Ländern auf eine Koalition von Zentrum und NSDAP hinzuarbeiten.
    Brüning musste sich nach anderen Bündnispartnern umsehen. Dafür blieb nur die ungeliebte SPD, die sich in eine Zerreißprobe begab. Sie tolerierte Brüning, um dessen Hinwendung zur NSDAP zu verhindern, deckte damit aber seine unpopuläre Sparpolitik. Man nannte das die Politik des «kleineren Übels». Die KPD nannte es «Sozialfaschismus»: Die SPD habe sich zur letzten Stütze des vor dem Zusammenbruch stehenden kapitalistischen Systems gemacht und müsse vorrangig bekämpft werden. In der SPD selbst formierte sich gegen die Tolerierung eine starke Minderheit, auch wegen der Konkurrenz der KPD: «Man müsse die Rechte zur Regierung kommen lassen, damit sie sich einschließlich der Nationalsozialisten abwirtschafte.» Diese Strategie hatte bereits etwas Fatalistisches. Der Mehrheitskurs kostete die Partei jedoch ihre Glaubwürdigkeit, als Brüning mit der Notverordnung vom 5. Juni harte Schnitte bei den Löhnen durchsetzte, um die Finanzkrise zu

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