Die Weimarer Republik
der Republik in Kauf zu nehmen. Ähnlich fragte man sich in den Gewerkschaften, ob man Überlebenshelfer des Kapitalismus oder dessen «fröhlicher Erbe» sein wolle. Vielleicht wurde hier eine Chancevertan, Hitler zu verhindern. Joseph Goebbels jedenfalls triumphierte: «Die Roten haben ihre große Stunde verpaßt. Die kommt nie wieder.» In jedem Fall aber verlor die SPD mit dieser Machtposition auch den letzten Rest an Einfluss auf die Innenpolitik. Sie blieb vollkommen isoliert und konnte dem Ausverkauf «ihrer» Republik nur noch hilflos zuschauen.
Es wirkte wie ein nachträgliches Votum gegen einen Generalstreik, wenn die SPD bei den Reichstagswahlen auf 21,6 % zurückfiel, ohne dass dies der KPD zugute kam (14,5 %). Es war Hitler, der die Wahlen vom 31. Juli triumphal mit 37,4 % gewann. Selbst zusammen lagen SPD und KPD damit hinter der NSDAP. Mit Ausnahme der katholischen Parteien, die leichte Gewinne verbuchten, verloren alle anderen Parteien: die DNVP (5,9 %), erst recht die beiden liberalen mit jeweils rund 1 %. Jetzt war eine parlamentarische Regierung unmöglich geworden. Allerdings reichte es auch für die NSDAP im Bündnis mit anderen Rechtsparteien nicht, solange sich das Zentrum versagte. Papen lehnte Bemühungen der Regierung um eine feste Koalitionsmehrheit im Reichstag ab, forderte jedoch erneut, die NSDAP müsse am Wiederaufbau des Reiches mitwirken. Die antwortete mit einer Welle der Gewalt. Die Regierung erließ eine Notverordnung gegen den politischen Terror und beschloss die Einsetzung von Sondergerichten. Gleichwohl verhandelten Schleicher und Papen mit Hitler und machten ihm neue Zugeständnisse. Beide waren jetzt bereit, Hitler den Weg zur Macht zu öffnen, sofern Sicherungen eingebaut wurden. Doch scheiterte das an Hindenburg, da Hitler sich nicht mit der Vizekanzlerschaft begnügte.
Nachdem der Reichstag Papen mit 512: 42 Stimmen das Misstrauen ausgesprochen hatte, trat dieser die Flucht nach vorne an und betrieb abermals die Auflösung des Reichstages. Diese wurde damit begründet, dass «die Gefahr besteht[!], daß der Reichstag die Aufhebung meiner Notverordnung vom 4. September des Jahres verlangt». Reichte bei Brüning die Tatsache eines solchen Verlangens, so genügte bei Papen der bloße Verdacht. Die ursprüngliche Absicht, Neuwahlen über den vorgeschriebenen Zeitraum von 60 Tagen hinauszuzögern, um angesichtsdes behaupteten akuten «staatsrechtlichen Notstandes» Zeit für die Durchsetzung einer neuen, autoritären Verfassung zu gewinnen, musste aufgegeben werden. Denn Zentrum und NSDAP, die zusammen über eine Mehrheit verfügten und gemeinsam Hermann Göring zum Reichstagspräsidenten wählten, prüften bereits die Möglichkeit, den Reichspräsidenten wegen Verfassungsbruchs anzuklagen, sollten die Wahlen nicht im vorgeschriebenen Zeitrahmen durchgeführt werden. Damit waren die Pläne für eine «Verfassungsreform» erledigt, die den Reichstag entmachten, die radikalen Parteien durch eine Wahlrechtsänderung schwächen und die Gewichte im Machtgefüge endgültig zugunsten des Reichspräsidenten verschieben sollten. Ähnlich kläglich scheiterte die Regierung auch auf anderen Politikfeldern, als sie z.B. ihre Ankündigungen zur zollpolitischen Begünstigung der Landwirtschaft aufgrund der Widerstände im In- und Ausland zurücknehmen musste. Erfolge wurden in der Außen- und Wehrpolitik erzielt; doch hier konnte die Regierung noch am ehesten auf innenpolitische Zustimmung rechnen. Aber im Wahlkampf war nicht zu erkennen, wo die Regierung entscheidende Rückendeckung für ihre Politik hätte finden können. Papen konnte lediglich relativ sicher sein, dass es vorläufig zu keinem tragfähigen Bündnis der Parteien gegen ihn oder gar zu einer Koalition kommen würde. Die Parteien bekämpften sich erbittert, bis zum politischen Mord. Dennoch kam es sporadisch zu Kooperationen oder doch entsprechenden Sondierungen: Die Freien Gewerkschaften nahmen Kontakt auf zur NS-Betriebszellen-Organisation (NSBO); die SPD dachte zumindest vorübergehend über ein gemeinsames Vorgehen mit der NSDAP gegen die sozialpolitische Notverordnung Brünings vom 4. September durch ein Volksbegehren nach; die NSBO und die kommunistische Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) führten gemeinsam den erbitterten Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Doch das waren taktische Bündnisse, negative Koalitionen gegen die Regierung, um deren Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit zu
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