Die Weimarer Republik
Die Staatskrise lässt sich nicht von der Wirtschaftskrise trennen, ebenso wenig von der Wahrnehmung und Interpretation der Krisen. Aber die Weltwirtschaftskrise von 1929 provozierte in Deutschland eine Staatskrise von solchem Ausmaß, wie es die teils ebenso schwere Wirtschaftskrise von Nachkrieg und Inflation nicht vermocht hatte. Die rasche Abfolge der Krisen trug zur Dramatisierung in der Wahrnehmung der zweiten Krise bei, in der die Furcht vor einer neuen Inflation und einem erneuten Staatsbankrott die politischenEntscheidungsträger bei der aktiven Krisenbekämpfung zu lange zögern ließ. Das mag das Entstehen einer rechten Massenbewegung erklären, aber nicht den Kollaps des gesamten politischen Systems.
Die Wirtschaftskrise eröffnete die Chance zur Revision der Revolution. Die Destabilisierung des politischen Systems wurde von einflussreichen Gruppen zielstrebig betrieben, als «strategische Gesamtplanung» schon vor dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise konzipiert, vor dem Scheitern der Großen Koalition und vor dem Durchbruch der NSDAP zur Massenbewegung eingeleitet. Im März 1929 hatte Hindenburg Sondierungen mit Alfred Hugenberg eingeleitet, doch der hatte eine Kanzlerschaft abgelehnt. Um Ostern 1929 entwarf Schleicher neue Pläne für eine autoritäre Lösung: ein «Hindenburg-Kabinett», dessen Leitung Brüning erstmals im Dezember 1929 angetragen wurde. Ziel war eine halb konstitutionelle Diktatur, die auf einem korporativ organisierten Interessenausgleich der traditionalen Eliten und der Rückendeckung durch das Militär beruhte.
Wie die parlamentarische Demokratie war die Diktatur ein historisch neuartiges Experiment der Zwischenkriegszeit. Die Abfolge der Präsidialkabinette war ein tastender Suchprozess nach einem stabilen autoritären Regime: Brüning stand für den Versuch eines parlamentarisch tolerierten, Papen für den eines gegen das Parlament und ohne populistische Legitimation, Schleicher für den eines auf außerparlamentarische Legitimation gestützten. Diese Anläufe scheiterten, da sie letztlich zu verfassungsnah blieben, vergeblich auf die Selbstausschaltung des handlungsunfähigen Reichstages setzten und infolge der Verweigerung Hitlers eine Massenbasis nicht gewannen. Da sie einen Interessenausgleich zwischen den sozialen Großgruppen außerparlamentarisch aushandeln wollten, setzte sich das System der Blockade auf anderer Ebene fort. Eine halb konstitutionelle Diktatur war schließlich ohne Hitler nicht mehr möglich. Der jedoch vollzog 1933 in kürzester Zeit den Übergang zur autoritären Diktatur. Damit zerstörte er das Zähmungskonzept seiner Steigbügelhalter, die ihn in ihrem machtgewohnten Dünkel unterschätzten, sodass er 1934, als er sich der Rückendeckungdurch die Reichswehr sicher sein konnte, den Übergang zu einer totalitären Diktatur vollziehen konnte.
1. Die Zerstörung der Republik
Für den neuen, antiparlamentarisch-autoritären Kurs schien Heinrich Brüning der ideale Mann: Finanz- und Wirtschaftsfachmann; Weltkriegsoffizier, der seine Befehlsempfängerhaltung gegenüber Hindenburg nie überwand; katholischer Rheinländer mit Kontakten zur Industrie, zugleich in der christlichen Arbeiterbewegung aktiv und bei der SPD geschätzt. Wie sehr Brüning von Hindenburg abhängig war, zeigte sich schon bei der Regierungsbildung. Der Reichspräsident gab dem Kanzler Teile des Programms vor, ebenso Teile des Kabinetts: Schiele (DNVP) und Treviranus als Vertreter der Landwirtschaft, Groener als Militär. Aus der Großen Koalition wurden Finanzminister Moldenhauer und Außenminister Curtius (beide DVP) übernommen, jedoch nur auf Abruf. So kam ein bürgerliches Minderheitenkabinett zustande, das von Beginn an die Erweiterung nach rechts suchte. Die SPD erkannte die Gefahr. Sie bot Brüning die Tolerierung bei dessen Kompromiss zur Arbeitslosenversicherung an, über den sie ihren eigenen Kanzler gestürzt hatte. Bedingung war, dass Schiele und Treviranus nicht ins Kabinett aufgenommen würden. Brüning wollte die «Brücken zur Mitte» noch nicht abbrechen und «das Wohlwollen der gemäßigten Kreise der SPD» nicht verlieren; er brauchte sie für seine verfassungsändernden Finanzreformen wie in Preußen. Doch Hindenburg machte seinem Kanzler unmissverständlich klar, dass weder eine Regierung mit der SPD noch eine quasiparlamentarische Lösung durch deren Tolerierung erwünscht sei.
Brüning gehorchte und eröffnete in seiner Regierungserklärung dem Reichstag den
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